Martin Rütter ist los!

Tellerrand-Akrobatik um den „Biss“

 

Seit einer Woche geistert die Podcast-Folge 95* durch die sozialen Medien, in der unser wohl prominentester TV-Hundetrainer gemeinsam mit der Wissenschaftsreporterin Katharina Adick die Schutzhundesportlerin Tina Neumann, die begeistert Mondioring betreibt, über ihr Lieblingshobby ausquetschte. 

Natürlich sträuben sich allein bei dem Gedanken jedem belesenen Hundesportfreund unwillkürlich die Nackenhaare in sämtliche physikalisch mögliche Richtungen. Martin Rütter ist nämlich seit mindestens zwei Jahrzehnten überzeugter Gegner des Schutzhundesports und den Reaktionen in unseren sozialen Medien nach sind wir Schutzhundesportler jetzt alle (Vorsicht, Ironie!) alkoholkranke Profilneurotiker mit vierbeinigen Waffen und >Martin muss die Welt vor uns retten!< Knut Fuchs ist irgendwie der neue Höllenfürst und weiß wahrscheinlich gar nichts von seiner zweifelhaften Beförderung. Da bekommt man schon beim Anklicken des Start-Buttons merklich Puls.

 

So schlimm war es dann aber wirklich nicht ...

... zumindest wenn man auch bis zum Ende dabei geblieben ist und nicht schon nach eine Viertelstunde wusste, wie es weitergeht. Es existieren nun mal verschiedenen Ansichten, Wahrnehmungen diffenrenzieren nicht nur im "Hundethema". Beim Anhören der über anderthalb Stunden glättet sich diese martialische Frisur samt dazugehöriger Herzfrequenz auf ein durchaus erträgliches Level. Martin Rütter klingt gar nicht so auf Krawall gebürstet und Tina Neumann schlägt sich wirklich sehr gut. Respekt, denn als Laie von medienerfahrenen Moderatoren öffentlich derart kritisch ins Kreuzverhör genommen zu werden und dabei nicht die Nerven zu verlieren, ist eine reife Leistung der sympathischen Schutzhundesportlerin!

Davon könnten wir gerne mehr vertragen. Stichwort Imagepflege. Dass sich in unseren Reihen eine Menge studierter Leute aus der Human- und Tiermedizin, der Pädagogik, Rechtswissenschaft und durchaus auch gehobenen Wirtschaft tummeln, die allesamt kein Interesse daran haben, mit illustren Randgestalten der Unterwelt in einen Topf geworfen zu werden, geht leider ein wenig unter. So schlimm sind wir wirklich nicht. 

Tatsächlich hat Martin Rütter mit einigen Argumenten durchaus Recht: aus der Sicht eines Familienhundetrainers und Warum-müssen-Hunde-hinter-Menschen-herrennen-und-da-auch-noch-reinbeißen-Kritikers wirken für uns völlig vertraute Insider-Bilder samt zotiger Formulierungen unseres Sports auf Außenstehende bestenfalls skurril. Schlimmstenfalls abstoßend. Das liegt aber weniger am „Beißsport“, sondern vielmehr an der menschlichen Natur: wenn wir uns mit etwas nicht identifizieren können, neigen wir dazu, uns davon abzugrenzen. Und manche packen dabei ganz schön aus.

Da darf sich jeder Schutzhundesportsfreund also gepflegt an die eigene Nase fassen: Was tun wir ganz konkret, damit unsere skeptische Umwelt von uns, unserem Umgang mit unseren Hunden und unseren Mitmenschen einen sozialkompatiblen Eindruck bekommt? Wie gehen wir mit Provokationen um?

 

Die positive Entwicklung der letzten zwei Jahrzehnte.

Davon durften wir uns in dieser Podcast-Folge so einige anhören und aber auch durchaus die eine oder andere wegatmen – so als Impulskontrollübung. Um Impulskontrolle geht es in unserem Sport auch, wenn – von Tina Neumann sehr anschaulich erklärt – Training im Schutzhundesport zum Großteil daraus besteht, dem Vierbeiner zu vermitteln, dass er eben nicht beißen darf. 

Immerhin haben sich Martin Rütter und Tina Neumann darauf geeinigt, dass alkoholisiertes „Hundescheuchen“ vielleicht noch vor 20 Jahren mal bedenklich war, in der heutigen Zeit aber kaum noch eine Rolle spielt. Danke für diese Einsicht! Es wäre allerdings schön gewesen, wenn man die händeringenden Bemühungen von aktiven Sportlern, Funktionären und Verbänden etwas mehr gewürdigt hätte, die sich wirklich Arme und Beine ausreißen, um auf unseren Hundeplätzen ein modernes und tierschutzkonformes Training zu gestalten. Und da hat sich viel verändert und es verändert sich stetig weiter. Das darf man ruhig erwähnen, ohne etwas „Schönzureden“. Schutzhundesport ist ein Kulturgut und erfüllt zudem alle notwendigen Qualifikationen eines Sports. Dass man sich für diese Schlussfolgerung selbstverständlich tiefer und vor allem unbefangener mit der Thematik befassen muss, liegt ja auf der Hand.

Ob man sich andererseits vor Knut Fuchs jetzt schützend in den Stacheldraht werfen muss ist fraglich. Vermutlich steht er eher milde lächelnd über dieses Ankläffen seitens Martin Rütters, denn seinen Status als Spitzensportler hat Knut Fuchs sich mit seinen Malinois zweifelsfrei verdient. Dass sich sein Kritiker allerdings so empfindlich über die hohe Erregungslage der auf Instagram entdeckten Sporthunde äußert, zeigt das Kernproblem solcher Kontroversen. 

Und hier wäre schön, wenn auch Martin Rütter bei allem komödiantischen Exzess einmal ernsthaft über seinen Tellerrand hinausschauen würde. 

 ja oder nein? Der Richter entscheidet

 

Ist „kompetitiver Sport“ jeglicher Ausrichtung zeitgemäß?

Fehler passieren

Wer Sportwissenschaften in Köln studiert hat, tut sich mit Aussagen wie „ich hab‘ da einen Kumpel, der Boxen mit aggressiven Jugendlichen trainiert und das funktioniert nicht wirklich“, keinen Gefallen, zumindest nicht, wenn er das als Argument gegen Schutzhundesport verwenden will. Tina Naumann hatte mit ihrer Bezugnahme auf Kampfsport nämlich durchaus Recht: gerade die Deutsche Sporthochschule Köln bietet mannigfaltige Studien über soziopositive Wirkungen von traditionellen Kampfsportarten. Und nichts Anderes ist der Schutzhundesport mit seinen hochstilisierten Figuren und Dressurübungen. Boxen passt da nicht wirklich, denn IGP stellt im Gegensatz dazu eine choreographische Abfolge dar, der „Wettkampf“ ist also nur in sehr engen Grenzen möglich. Im Schutzhundesport möchte man einen bestimmten “Betriebsmodus” beim Hund erreichen – er soll zwar seine Energie und Konzentration in höchstmöglichem Maße auf die technische Umsetzung am Helfer fokussieren, jedoch gleichzeitig kognitiv ansprechbar, kontrolliert und nicht “affektiv belastet” von destruktiven Emotionen sein. 

Dass eine Hobby-Hundesportlerin aus dem Stegreif nicht erklären kann, weshalb eine technische Übung im IGP trotz hoher Erregungslage und scheinbar „aggressiver“ Handlung auch auf neurobiologischer Ebene nichts mit affektiven Wutreaktionen zu tun hat, ist nicht verwerflich. Ein Lehrmeister von Hundetrainern mit einem sportwissenschaftlichen Studium im Hintergrund sollte das allerdings differenzieren können, auch wenn er persönliche Abneigungen dagegen hegt. Da ist diese plakative Darstellung etwas schade.

Genauso wie die wissenschaftlichen Ergebnisse, die der typischen Aufbauarbeit (Trennung zwischen frustrierter Wut und Erwartungshaltung auf das Motivationsobjekt/Spielzeug, die Tina Naumann auch sehr schön beschrieben hatte) Hunden auch in belastenden Haltungsbedingungen Stressreduktion erlaubt, statt sie „hochzupeitschen“ (S. Pauly, 2007). Genau das, worüber Martin Rütter sich angesichts des typischen Sporthundes so echauffierte: impulsive Hundetypen wie der Malinois können dadurch lernen, von affektiven Impulsen hin zu sekundärem und dadurch kognitiv reguliertem Verhalten umzuschalten. Laut Untersuchungen des Clever Dog Lab in Wien ist diese in der Sportpsychologie als „exekutive Funktion“ (Walk/Evers, 2011, 2012) beschriebene Impulskontrolle sogar ausschlaggebend, um überhaupt Problemlösungsstrategien entwickeln zu können (C. Müller et al, 2016). 

 

Differenzierung ist immer hilfreich.

Kynologisch betrachtet also ein ziemlicher Holzweg. Moralisch – da lässt sich darüber streiten. Oberflächlich zumindest. Denn das Setting mit dem „Hetzarm“ hat auch etwas mit Unfallverhütung für Hund und Schutzdiensthelfer zu tun und auch der Vollschutzanzug erlaubt freiere Bewegungsimpulse beim Hund. Physiologisch gesehen also erheblich gesünder als eine intensive Stop-and-Go Sportart, die sich zudem nur um tote Objekte dreht und dem Hund keine soziale Reflexionsfläche bietet. Denn der Schutzdiensthelfer kommuniziert sehr intensiv mit dem Hund und verhindert dadurch auch „blindwütiges Haben-wollen“. Diese Mischung aus Kooperation mit dem Hundeführer, kompetitives Wettkampfsetting und die ritualisierte, nicht-feindselige Auseinandersetzung mit dem „Sparringpartner“ im Hetzanzug macht überhaupt erst den Gewinn dieses unbestreitbaren Kulturgutes für den Hund aus, der in unserer Zivilisation ohnehin immer mehr gezwungen wird, sich zu reduzieren.

Und Herr Hundetrainer, also wirklich! Wer auf einen Hundeplatz geht, sich ein Ofenrohr über den Arm zieht, eine dicke „Plüschjacke“ darüber und dann „helfertypische Bewegungen“ ausführt, fragt genau eine Sache beim Sporthund ab: Ortsgebundene Erwartungshaltung. Bingo. Die Hunde waren offensichtlich hervorragend auf den Hundeplatz konditioniert. Genau das, was Hundebesitzer regelmäßig in den Wahnsinn treibt und uns Hundetrainer dazu zwingt, mit unseren Kunden und ihren Vierbeinern raus in den Alltag zu gehen. Sonst glänzt „Fiffi“ halt nur auf dem Rasen des Übungsplatzes. Gerade der IGP-Hund hat ein komplexes Setting für seine Choreografie und dazu gehört auch die Position und das Verhalten des Hundeführers, die Leine, das Halsband (VDH-Prüfungsvorschrift), der Hetzarm beziehungsweise das Vorhandensein eines Hetzarmes (die waren früher übrigens tatsächlich Ofenrohre unter Leder oder Filz) und natürlich auch das Verhalten des Figuranten. Diese Überprüfung ist nicht wirklich dazu geeignet, das „Risiko“ einer solchen Ausbildung zu beweisen. Wäre dem so, könnten wir unsere Diensthunde frisch vom IGP-Platz nehmen, in den Einsatz gehen und uns die jahrelange Zusatzausbildung auf operative Verwendbarkeit schlichtweg sparen. 

 Plauderstündchen mit höchster KonzentrationUnd nun? Wie könnte es weitergehen?

Vielleicht könnte Martin Rütter einmal einen Podcast darüber bringen, was wir Schutzhundesportler tun (oder lassen) müssten, um kritischen Gegnern wie ihm zumindest das Gefühl zu geben, nicht von unserem Wirken bedroht zu werden?

Denn natürlich ist seine Perspektive für uns weder sonderlich angenehm noch in Gänze nachvollziehbar. Wie auch? Es ist eine ganz andere Sichtweise. Aber gerade dieses Spannungsverhältnis liefert großartige Anreize zur Selbstreflexion und nach all der Arbeit, die wir in den vergangenen zwanzig Jahren in die positiven Veränderungen unserer Trainingsmethoden und auch unserer Wahrnehmung in der Öffentlichkeit gesteckt haben, wäre es schade, diese Gelegenheit ungenutzt zu lassen.

Wer mehr über Schutzhundesport, die Differenzierung zu dienstlichem Arbeiten und auch dem kulturellen Hintergrund erfahren möchte: im kommenden Sporthund-Heft gibt es mit „Der Hund beißt“ genau darüber einen Artikel. 

 

 

 

*Podcast Tierisch Menschlich – Folge 95 „Schutzhundesport“ (RTL+)

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