Hundefrust & Sportlerlust

Wir nutzen den Begriff “Frustration” oft als allgemeingültiges Ablagefach für eine Menge unangenehm behafteter Zusammenhänge und positionieren dieses direkt neben “Misserfolg” oder “unerwünschte Aggression” in das Regal unserer gefühlsbedingten Bewertungen. Auf jeden Fall ist es unangenehm. Es verursacht Stress und steht somit der persönlichen Zufriedenheit im Wege.

Darf man im Sport also frustrierende Erfahrungen zulassen oder fügen wir unseren vierbeinigen Sportskameraden damit Schaden zu? Schließlich klingt die Aussicht auf “frustfreies Training” äußerst zuträglich für das allgemeine Wohlbefinden.

Der Begriff “Frust” entstammt dem Lateinischen “frustra” und umfasst Bedeutungen wie “im Irrtum”, “vergeblich”, “zwecklos” - Bewertungen, die jeder von uns kennt und oft fürchtet, wird es doch mit verminderter Lebensqualität in Verbindung gebracht.

Längst überholte psychologische Modelle sehen in der Frustration die Quelle destruktiver Aggression, wohingegen der aktuelle Trend eher zu einer differenzierteren Wahrnehmung tendiert: aggressives Verhalten als Folge von frustrierter Erwartungshaltung tritt eher dann auf, wenn sich eine bewusste, von einer anderen Person zugefügten Störung der eigenen Handlung identifizieren lässt (Irle/Heider 1969) – es verursacht also erst unter bestimmten Bedingungen “Ärger” als emotionale Reaktion (Depner 2019) und dadurch erst die aggressive Handlung. 

Jetzt beißt uns der Hund ins Bein, wenn er den Eindruck gewinnt, wir seien “schuld” an seiner Enttäuschung – nur können wir ihn leider nicht fragen, ob diese humanpsychologische Annahme zutrifft und er tatsächlich die “Enttäuschung” über den Misserfolg fühlt, uns als Verursacher auserkoren hat und nicht einfach blind und unwillkürlich in das nächste Objekt hackt, weil er zu diesen kognitiven Leistungen gar nicht fähig ist. In der Kynologie nennt man dieses Verhalten gerne „umgelenkte Aggression“ und versucht korrigierend, ja “verhaltenstherapeutisch” einzugreifen, da es sich aus dieser Perspektive eher um eine zuvor erlernte “Fehlverknüpfung” handelt, die bei Frustration einen automatischen Prozess auslöst. ABER Wird das den kognitiven Fähigkeiten eines Hundes tatsächlich gerecht? Schließlich kann der Hund in anderen Situationen durchaus davon absehen, unser Bein zu malträtieren. Manche Hunde können sogar sehr genau unterscheiden, wessen Bein heil bleiben soll – oder beehren genau denjenigen, mit dem sie zuvor soziale Diskrepanzen ausgetragen haben. 

Ganz so “unwillkürlich” erscheint der Umgang mit Frustration also nicht zu sein.

Fernab von unlustbehafteten Interpretationen bietet das Erleben von Frustration viele Anlässe, die elementare Bedeutung für die Entwicklung einer äußerst wichtigen Lebenskompetenz besitzen: 

Selbstbeherrschung.

In “Der gelassene Hund” (Üncüncü, 2019) findet sich eine perspektivreiche Betrachtung über die Zusammenhänge von Impulskon-trolle und sogenannter Frustrationstoleranz. Den Ausführungen der Autorin folgend hängt diese Kernkompetenz vom frühesten Welpenalter hin bis zum erwachsenen Hund mit einer erfolgreichen Alltagsbewältigung in unserem oftmals hektischen und stressbelasteten Lebensumfeld zusammen – welches der Hund gezwungenermaßen mit uns teilt. Das spiegelt trotz Kontroversen interdisziplinäre wissenschaftliche Ansätze unserer Zeit.

Doch nicht nur auf akademischer Ebene bietet die “Selbstbeherrschung” Anreiz, sich einmal reflektierter mit den Zusammenhängen auseinanderzusetzen. 

Gerade im modernen Hundesport wird diesen Einzeldisziplinen rund um Frustrationsbewältigung integraler Stellenwert beigemessen. Viele Übungsaufbauten zielen darauf ab, sich trotz Aufregung und hoher Erwartungshaltung auf den Hundeführer zu konzentrieren, impulsive Reaktionen zugunsten von kooperativem Zusammenwirken zurückzustellen und selbstverständlich auch Fehlschläge zu überdauern, ohne die Motivation am Sport oder das Vertrauen in den zweibeinigen Part zu verlieren.

“Gut ausgebildete exekutive Funktionen gelten heute als ebenso wichtig wie Intelligenz oder fachspezifisches Wissen”, schreibt die Autorin und Verhaltenstherapeutin Üncücü aus Hamburg. Damit bezieht sie sich auf kognitive Flexibilität, ein gut funktionierendes Arbeitsgedächtnis – und eben die vielgerühmte Selbstbeherrschung.

Die Diplom-Sportwissenschaftlerin Laura Walk und die niederländische Psychologin Wiebke Evers, welche sich an der Universität in Ulm auf neurowissenschaftliche Forschungen über “exekutive Funktionen” spezialisiert haben, konkretisieren dabei die “Fähigkeit zu selbstregulatorischem Verhalten” als “Schlüsselrolle”. Vor allem auch, wenn es um die Fähigkeit zu selbstgesteuertem Lernverhalten und dem angemessenen Umgang mit Gefühlen gehe. Gülay Üncücü bringt es dabei auf den kynologischen Punkt: Entsprechendes gelte auch für Hunde, ihr Sozialverhalten und ihre Lernfähigkeit.

Es handelt sich somit um einen Trugschluss, dass die Konfrontation mit Frustration generell mit verminderter Lernfähigkeit oder beeinträchtigter Aufmerksamkeit zusammenhängt, ebenso mit der Aggression als unwillkommene, aber unausweichliche Folgeerscheinung. Dabei mag es zutreffen, wenn es sich dabei um “die Anpassungsfähigkeit des Individuums übersteigende Belastungszustände” handelt, wie man fachlich einen Zustand der absoluten Überforderung beschreibt, welcher bleibende Schäden hinterlässt. Doch diese extremen Stresszustände treten nicht auf, wenn ein Hundeführer mit Rücksichtnahme und Einfühlungsvermögen seinen Hund trainiert, um ein erfolgreiches Team zu werden!

Zurück zu dem frustrierten Hund und dem malträtierten “Bein des Anstoßes”: 

Betreiben wir Schutzdienst, “kanalisieren” wir regelmäßig einen rassespezifischen Bund an emotionaler Erregung in ein äußerst selbstkontrolliertes Verhalten: Anstelle den provokanten, übergriffigen und dazu auch noch schwer erreichbaren Schutzdiensthelfer in wüstes Konfetti zu zerfetzen, greift der gut ausgebildete Sporthund in den Hetzarm, zerrt ein wenig herum und lässt dann auch noch mitten im wildesten Kampf auf Hörzeichen ab. 

Das Bringholz fliegt über die Hürde – und der Sporthund wartet konzentriert auf seine Freigabe, legt einen formschönen Sprung hin und tut dies auch mit dem ruhig liegenden Holz zwischen den Zähnen auf dem Rückweg. 

Ebenso achtet der Hund im Agility auf feinste koordinative Signale und ruft blitzschnell Bewegungsmuster ab, die zum jeweiligen Hindernis passen – inklusive Kontaktzonen und Tabus. 

Der Ringsporthund kann sich mitten im Anflug auf den Pfiff zurücknehmen, ohne die Zähne in seine Belohnung zu schlagen – und genauso anspruchsvoll ist das selbstständige Trennen auf dem Gegenstand oder die vielgestalteten Provokationen bei der Führerverteidigung, bei der nur ein einziges Verhalten den Anbiss legitimiert: der finale Kontakt.

All diese “Spiele” basieren auf einer belastbaren Selbstbeherrschung und benötigen gleichermaßen Motivation wie Disziplin.Trotzdem gibt es Hunde, denen die emotionale Regulierung nicht so recht gelingen mag – es gibt genetische Dispositionen, und auch veterinärmedizinische Indikationen für diese “Dysfunktion”. Dass ein Hund, der nie lernen durfte, Frust zu bewältigen und zwischen einer “asozialen Erleichterung” und einem “konstruktiven Überwinden” zu wählen, dieses nicht zu leisten vermag – das steht außer Frage. 

Es bleibt also eine große Verantwortung des Hundesportlers, Wert auf Selbstbeherrschung zu legen. 

Dabei benötigt es Verständnis für den Reifegrad, das Wissen und Vermögen des Hundes – weder egozentrische Unterdrückung unerwünschter Lösungsstrategien, noch das gänzliche Vermeiden von Konflikten und Misserfolgen ist hierbei sonderlich hilfreich.  

Kooperation und Partnerschaft, welche Orientierung und stabile, zugewandte Interaktion verspricht, ist vermutlich deshalb so wertvoll für motivationsbasierte Betätigung, da in dem entsprechenden Gehirnkomplex (mesolimbisches System) neben Dopamin auch die für positive Beziehungen zuständigen Neurotransmitter wirken (Thomashoff 2014). 

Für den Sporthund übernimmt der ihm gewogene Hundeführer somit eine wertvolle Rolle, wenn es um Leistungsfähigkeit geht – aber auch der Mensch hat oft emotionale Ansprüche an den “Sportskameraden”, die in Verärgerung oder Enttäuschung umschlagen können. Das obliegt der menschlichen Selbstbeherrschung, den Hund nicht für Fehlschläge verantwortlich zu machen – bildlich gesprochen, in die Tischkante statt den Hund zu beißen. Damit schulen wir gleichermaßen unsere persönlichen Kompetenzen im Bereich Frustbewältigung. 

Wenn die soziale Beziehung so tief mit Motivation und Selbstbeherrschung verwurzelt ist, liegt es nahe, im Sportgeschehen dieses feine, oft tagesformabhängige Gefüge zu respektieren:  

Der Hund ist kein Sportgerät. Aber ein Hund und ein Mensch können sehr wohl eine Beziehung auf Basis gemeinsamen “Sports” führen.

Als Quintessenz dieser im Rahmen eines Hundesportmagazines nur oberflächlich beleuchtbaren Thematik lässt sich zusammenfassen:

Frustrationserleben besitzt ebenso wichtige Entwicklungspotentiale wie das erfolgreiche Überwinden von Ängsten – wer sich dessen vollständig entzieht, nimmt seinem Hund die Möglichkeit, für seine Alltagsbewältigung nützliche Selbstbeherrschung zu entwickeln. Wir benötigen in angemessenem Umfang Situationen, in denen das “vermaledeite Bein” äußerst verlockend für einen ärgerlichen Frustbiss erscheint – aber der Hund anhand von sozialen Regeln, Rücksicht auf die Beziehung und auch durch die Motivation auf ein gemeinsam erreichbar scheinendes Ziel aktiv von dieser Erleichterung Abstand nimmt und die Energie dafür aufwendet, seine frustriert-erregten Emotionen zugunsten dieser Zielsetzung zu regulieren.

können dem Hund dabei helfen, indem wir ihm klare Kommunikation, soziale Spielregeln und eine motivationsbasierte Zusammenarbeit anbieten – Attribute einer konstruktiven, wohlwollenden Beziehung. 

Eine Beziehung ist keine Einbahnstraße: Je authentischer wir diesen Weg vorleben, desto einfacher wird es, ihn auch gegenüber dem Hund zu vertreten. 

Die Mühe lohnt sich.

 

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