Dienstleister Hund

Wir lieben das Kategorisieren – auch wenn wir es nicht gerne zugeben. Wer lässt sich heutzutage schon widerspruchslos „Schubladendenken“ unterstellen? Hier darf man getrost aufatmen, denn so ganz ohne Vorurteile geht es nicht. Wissenschaftlich gesehen gehört das unliebsame In-Schubladen-sortieren nämlich zu einer wichtigen Überlebenskompetenz: Wir fassen Ereignisse oder Objekte aufgrund ihrer Gemeinsamkeiten zu einer bestimmten Kategorie zusammen und gleichen fortan neuere Erlebnisse mit dieser „Schublade“ ab. „Ohne Kategorien wären wir nicht in der Lage, uns in der Welt zu orientieren und von Erfahrungen zu profitieren“, so Professor Waldmann von der Universität Göttingen (1).

Schwierig wird es, wenn bestimmte Kategorien für uns nicht mehr alltäglich sind: welche „Schublade“ wird einem Hund gerecht, der als Dienstleister sportliche Tätigkeiten ausübt?

Provokant mag diese Frage wirken, denn wir sehen ja den Unterschied zwischen Freizeit und Broterwerb monatlich auf unserem Konto und selten würden wir von unserem Haupterwerb als „Sport“ sprechen – gleichwohl es Profisportler gibt, die genau das tun. Übersetzen wir dieses Denken nun aber in die Welt der Vierbeiner, stellen sich schnell die Nackenhaare auf: das geliebte Tier als Sportgerät? Ausgesondert, sobald es nicht mehr Spitzenleistungen vollbringt? Abscheulich!

Der dienstleistende Arbeitshund balanciert also angestrengt zwischen diesen uns vertrauten Kategorien: Familienmitglied. Sportler. Arbeitsmittel. Kollege. Nutztier. Werkzeug?

Wir sehen die Ablösung von manchmal harter Notwendigkeit hin zum lustbetonten Freizeitsport mit dem ehemaligen „Gebrauchshund“ sogar als gesellschaftlichen Fortschritt. Heute muss kein Hund mehr um sein Futter bangen, wenn es mit der Aufgabenerfüllung nicht mehr so recht klappt: Der Hund ist ein Luxusgut geworden.

Schema Dienstleister HundAber ist dieser Fortschritt auch im Sinne des Hundes?

Der heutige Lebensstandard unserer Sporthunde hat unbestreitbare Vorteile. Sie dürfen sich völlig „unproduktiv“ mit ihrem Besitzer im Rahmen sportlicher Angebote austoben, ganz wie der Soziologe Heinemann es versucht hat zu definieren. Ihnen gegenüber wirkt der manchmal harte und entbehrungsreiche Alltag eines vierbeinigen Dienstleisters antiquiert, vor allem, wenn es nicht so gut läuft. Mahnende Stimmen warnen vor Ausbeutung, der Zusammenhang „Burn-Out beim Einsatz zur Tiergestützten Intervention“(3) oder bedenkliche Stresszustände im Dienstalltag bei Polizei, Rettungshunden und dem Führen von Behinderten wird immer populärer in der Hundlerszene. Das zeichnet sich auch in aktuellen Studien ab.

Natürlich verständlich, wird schon beim Sporthund vor einer Überlastung durch zu exzessives Training gewarnt – und viele Arbeitshunde kennen schließlich keinen „Feierabend“. Oder etwa doch?

Beruhigend zu wissen, dass es allerhand Schutzvorschriften und Leitlinien von tierärztlichen Vereinigungen gibt, wenn es sich um wirtschaftlichen Erwerb mit Tieren handelt. Diese basieren alle auf dem Tierschutzgesetz und touchieren auch wichtige Themen aus dem Arbeitsschutz. Teilweise sind diese Regelungen sogar härter, als die zweibeinigen Arbeitskräfte es sich wünschen würden. Werfen wir einen Blick in die DGUV 23 §12 „Diensthunde“, so wird eine Einsatzzeit auf zwei Stunden begrenzt und sogar eine zweistündige Pause dazwischen angeordnet. Mehr als zehn Stunden darf ein Diensthund nicht arbeiten. Davon träumen viele Sicherheitsmitarbeiter.

Dass die meisten Familien- und Freizeitsporthunde einen unbezahlten und ungeregelten Fulltime-Job erfüllen, dürfte ebenso wenig bekannt sein. Die FCI hat dafür sogar eine eigene Zuordnung:

FCI-Gruppe 9: Gesellschafts- und Begleithunde
„Gesellschaftshunde sind Hunde, die dem Menschen zur Gesellschaft (als Sozialpartner) dienen.“, weiß Wikipedia. Ferner sei es schwer, „zwischen Gebrauchs- und Gesellschaftsfunktion des Hundes zu unterscheiden“, da diese „soziale Funktion“ beinahe obligatorisch neben den jeweiligen Aufgaben des Arbeitshundes läge. Diese Feststellung traf der Verhaltensforscher Dr. Erik Zimen bereits 1992 in seinem Werk „Der Hund – Abstammung, Verhalten, Mensch und Hund“.

Und wie aktuellere Forschungsergebnisse belegen, erleiden Hunde beispielsweise in dem als besonders riskant wahrgenommenen therapeutischem Rahmen eher wenig Stress (4). Auch Diensthunde- oder Rettungshundeführer, die sich eigenmotiviert um angemessene Pausen und Regenerationsphasen für ihren vierbeinigen Mitarbeiter bemühen, beobachten wenig chronische Überlastungsanzeichen. Wobei gewerbliche Hundetrainer, Verhaltenstherapeuten oder Tierärzte im Haus- und Freizeitbereich ganz andere Szenen schildern: gestresste, überforderte und teilweise erheblich leidende Tiere und auch Menschen gehören dort eher zum normalen Bild. Sporthunde sind dort nicht so häufig vertreten. Ein erschöpfter, gestresster und überlasteter Athlet bringt keine Leistung mehr – wer gut abschneiden will, hegt und pflegt seinen Hund!

Die Überschneidungen von Sport und Dienstleistung – körperliche Bewegung, die Erfüllung einer Aufgabe, Belastung und Erholung sowie die Kooperation mit dem Menschen scheinen Hunden gut zu tun. Die zweibeinigen Kollegen leiden hingegen häufiger unter berufsbedingten Überlastungserscheinungen (5), ob nun im Bereich Sozialarbeit oder im Sicherheitsdienst.

Stecken wir den „Dienstleister Hund“ etwa in eine Schublade, in der wir uns eher selbst wiederfinden müssten?

Sportliche Disziplinen leiten sich meistens von ernsthaftem Brötchenerwerb ab. Mit einem Unterschied: Der Sport leistet sich den Luxus, einzelne Abläufe so zu gestalten und zu normieren, dass ein qualitativer Vergleich überhaupt möglich wird. Und zwar auf Basis fairen Wettkampfs und ungeachtet der Tatsache, ob dieser konkrete Ablauf im Arbeitsalltag noch Sinn machen würde.
Hier entsteht auch das größte Potential für Missverständnisse. Ein hochdekorierter Sporthund jedweder Disziplin ist zwar ein herausragender Athlet, aber es bedeutet nicht, dass er automatisch auch ein besonders guter „Arbeitshund“ wäre.

Wird ein Rettungshund nachts aus dem Körbchen geholt, muss er zuverlässig sein Leistungspensum ausschöpfen - manchmal unter Bedingungen, die keinerlei Erfolg zulassen. Dabei darf er sich weder völlig verausgaben, noch aufgrund ungünstiger Bedingungen zu früh quittieren – es benötigt also ein tiefgehendes Verständnis des Hundeführers, um vielleicht lebensrettenden Erfolg mit der Gesundheit und Einsatzfähigkeit seines Hundes in der Waage zu halten. Das hat wenig zu tun mit sorgfältiger Vorbereitung auf einen genau definierten Wettkampf.

Jagdhund

Auch wenn in unseren Breitengraden eher selten anzutreffen, sind Zughunde ein gutes Beispiel: Schlittenhunde, die touristische Touren absolvieren und dabei immense Kilometeranzahlen leisten, haben eine weitaus flachere Leistungskurve – aber auch deutlich schnellere Regenerationspannen. Rennsportler würden solche Hunde nicht einsetzen, da sie keine Leistungsspitzen zu den festgelegten Rennterminen abrufen könnten. Der „Arbeitshund“ muss am nächsten Tag wieder im Geschirr stehen können, ohne verletzt oder überanstrengt zu sein. Der sportliche Athlet darf sich eine wohlverdiente Erholungsphase genehmigen, da er seinen Körper bis an seine individuellen Grenzen gebracht hat.

Auch die Signalkontrolle weicht gewöhnlich ab: im Sport gibt es klare Vorschriften, wie eine Übung auszusehen hat. Dabei müssen sich Hund und Hundeführer langwierig an diese „Form“ herantasten, um auch entsprechende Haltungsnoten zu erreichen. Im Arbeitsalltag bestimmt die individuelle Persönlichkeit beider die konkrete Durchführung – letztendlich muss nur die Erfüllung der etwaig vorhandenen Dienstvorschrift entsprechen. Der Arbeitsalltag lebt von einfachen, routinierten Handgriffen. Die auch in überraschenden oder extrem stressigen Situationen von beiden Seiten verstanden und umgesetzt werden können. Haltungsnoten gibt es dafür keine – es muss funktionieren, zweckdienlich sein und darf keine kostbaren Ressourcen verschwenden. Hier zeigt sich der Luxus sportlicher Eleganz:

Wer Sport um Lust und Freude willen macht, weiß, dass er genau dafür Energie, Zeit und Geld investiert. Wer es schafft, diese Freude mit seinem Hund gemeinsam zu erhalten, hat sich die Pause hinterher redlich verdient. 

Interview mit Dr. Leopold Slotta-Bachmayr

Er ist freiberuflicher Biologe, Ornithologie und Wildbiologe. Dr. Leopold Slotta-Bachmayr hat in Zoos gearbeitet und ein Tierheim geleitet, ist als Rettungshundeführer bei Rotes Kreuz Salzburg, trainiert Therapie- und Spürhunde. Er hat wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema Stress von Rettungshunden, der Bedeutung von Lob und Strafe bei der Ausbildung von Polizeidiensthunden durchgeführt und führt seinen Australian Kelpie Sarek als Rettungshund bzw. als Spürhund für Wildkatze, tierische Kadaver und Borkenkäfer.

 

 Wie bist du in die Position „Dienstleister mit Hund“ gekommen?

Hunde haben mich seit der Kindheit fasziniert. Damals war leider kein Hund möglich und erst nach dem Studium kam dieser ins Haus. Ich habe diesen dann als Rettungshund ausgebildet. Als ich mich als Biologe selbständig gemacht habe, stand die Idee im Raum, auch Alltagstraining anzubieten. Ich musste aber erkennen, dass das nicht meines war. Dann habe 1999 meinen alten Border Collie SPOT als Therapiehund ausgebildet und bin schnell in die Ausbildung von Therapiehunden eingestiegen. Dann kam die Wildkatze, eine schwer zu findende und schwer zu bestimmende Art und die Idee war, Beruf und Hobby zu verbinden. Also habe ich meine alten Bücher zur Ausbildung von Sprengstoffspürhunden ausgegraben und im Internet nach Videos gesucht, um mir weitere Ideen zu holen. So wurde SPOT zum Wildkatzenspürhund. Besonders in diesem Bereich liegt großes Potential und so sind dann noch die Borkenkäfer dazugekommen. Und es macht total Spaß. So wurde aus der Ausbildung des eigenen Hundes eine Dienstleistung.

Was ist für dich maßgeblich, um ein „Freizeitvergnügen“ von einer „wirtschaftlichen Dienstleistung“ zu unterscheiden?

Die Ernsthaftigkeit. Hunde als Dienstleister, die den Menschen in ihrer Arbeit unterstützen und sie da und dort auch vor schweren Verletzungen und mehr schützen, müssen nach den neuesten Erkenntnissen der Trainingslehre ausgebildet werden. Davon hängt deren zuverlässiges Arbeiten ab. Es braucht eine maximale Leistung bei optimalem Aufwand und größtmögliche Zuverlässigkeit. Das erreiche ich nur, wenn ich auch wirklich ernsthaft arbeite, mich immer wieder schlau mache und gut auf meinen Hund achte.

Setzt du für einen Arbeitshund andere Maßstäbe als für einen Sporthund oder ist das eine organisatorische / ausbildungstechnische Unterscheidung?

Für mich besteht der Unterschied in der Verlässlichkeit der Leistung und in der Präzision. Ein Arbeitshund muss „immer und überall“ seine Leistung bringen. Die Ausführung muss funktionell aufgebaut sein, d.h. am Ende steht ein Produkt und wie wir dazu kommen, ist zweitrangig. Beim Sporthund steht die Art und Weise im Vordergrund. Basis ist eine Prüfungsordnung, die die Art und Weise der Ausführung beschreibt. Je näher ich dieser Beschreibung komme, umso besser ist das Prüfungsergebnis. Deshalb ist es für mich keine organisatorische oder ausbildungstechnische Frage, sondern eine Frage, worauf der Fokus liegt.

Borkenkäfer SpürhundDenkst du, ein vierbeiniger Dienstleister könnte auch Sporthund sein – und umgekehrt? Wo sind die Grenzen?

Ja und nein. Ich denke, mit einem Arbeitshund Sport zu machen, ist kein Fehler. Die intensive Arbeit, die Beschäftigung miteinander geben Hund und Mensch die Möglichkeit, sich miteinander auseinander zu setzen, sich besser kennenzulernen und damit auch in allen Bereichen bessere Leistungen zu bringen. Analysen der Prüfungsergebnisse von Polizeidiensthunden aus Österreich haben gezeigt, dass weniger die Erfahrung des Hundeführers, sondern mehr die Qualität und Intensität der Ausbildung von Mensch als auch von Hund zum Heben der Leistung beitragen. Dort wo sich Sport und Arbeit miteinander vermischen, muss man da und dort Abstriche in Kauf nehmen. Gehe ich auf Präzision oder auf konstant gute Leistung und Problemlösung. Sollte es hier zu einem Konflikt kommen, müssen meiner Meinung nach die Anforderungen an den Sporthund hinter den Anforderungen an den Arbeitshund zurückstehen.

Rettungshunde versus Schutzhunde. Abgesehen von eventuell ungünstiger Rassezugehörigkeit: Kann ein sorgfältig ausgebildeter Hund beides unterscheiden oder wird er durch die Ausbildung zum Schutzhund automatisch zur Gefahr, wie vielfach behauptet wird?

Um gleich die zweite Frage zu beantworten: Meiner Meinung nach stellt ein ausgebildeter Schutzhund keine Gefahr für den Menschen oder für Tiere dar. Grundlage ist immer eine saubere Ausbildung und ich gehe davon aus, dass das im professionellen Bereich weitgehend der Fall ist. Wenn wir von Sport sprechen, sehe ich überhaupt kein Problem, einen Hund als Rettungs- und als Schutzhund auszubilden. Immer unter Voraussetzung einer sauberen, klaren Ausbildung und einer klaren Trennung der beiden Arbeitsbereiche. Das fordert sowohl Trainer als auch Hundeführer. Im professionellen Bereich ist das sicherlich auch möglich, es stellt sich aber die Frage, ob es Sinn macht, da ich auch hier Abstriche machen muss und damit die Leistung in einer der beiden Sparten leiden kann. Im Sinne des Hundes, aber auch im Sinne Anforderung an die Ausbildung würde ich es hier für besser halten, sich auf einen Bereich zu fokussieren.

 

Quellen:
(1) Allgemeine Psychologie (Müsseler / Rieger 2016) „Kategorisierung und Wissenserwerb“
(2) Helmut Digel: www.sport-nachgedacht.de „Sport als Definitionsproblem“
(3) Dr. Krüger: TVT AK10: „Nutzung von Tieren im sozialen Einsatz“ Mb Nr 131.14 „Hunde“
(4) McCullough, Amy et.al., “Physiological and behavioral effects of animal-assisted interventions on therapy dogs in pediatric oncology settings”, Applied Animal Behaviour Science (2017)
(5) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/239672/umfrage/berufsgruppen-mit-den-meisten-fehltagen-durch-burn-out-erkrankungen/

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