„Augen auf!“ im Hundesport

Verhaltensanalyse als Trainingstool

Klingt erstmal skurril, oder?

„Verhaltensanalyse“ wirkt nicht nur begrifflich ein wenig sperrig, sondern staubt regelrecht beim Lesen. Außerdem wollen wir ja Hundesport machen und keine Therapie auf der Couch. Oder mit Klemmbrett und Kugelschreiber dastehen und abhaken. Oder sonstige eher nerdhafte Aktivitäten, die schwerlich mit lustvoller Bewegung auf dem Platz vereinbar scheinen.

Warum handelt es sich – richtig eingesetzt – um ein wertvolles Tool, um effizienter zu trainieren? Und was ist „Verhaltensanalyse“ überhaupt?

Eine erstaunlich simple Antwort vorneweg: das Hauptwerkzeug für eine Analyse findet sich praktischer Weise an unserem Kopf festgewachsen. Also „Augen auf!“ und hingeschaut. 

Damit aus bloßem „Sehen“ eine gute Analyse wird, gehört allerdings ein wenig Struktur dazu. Wir Menschen sind zwar ausgesprochene „Augentiere“ und unser Gehirn ist für hochkomplexe Assoziationen ausgelegt, aber wir gehen normalerweise nicht sonderlich achtsam damit um. Das kennen wir bei Augenzeugenaussagen als Beweismittel vor Gericht: Diese populäre Informationsquelle ist erschreckend fehleranfällig. 

Der selbige Effekt begegnet uns auch im Hundetraining: Wer kann exakt wiedergeben, warum der Hund plötzlich ein unerwünschtes Verhalten gezeigt hat oder eine Übung nicht klappt? Unser Arbeitsgedächtnis spielt uns da manchmal derbe Streiche. Augen und deren kognitive Verarbeitungszentren funktionieren nicht wie eine Videokamera. Tatsächlich nehmen wir immer nur kleine Details wahr und unser Bewusstsein konstruiert anhand von Erinnerungen und anderen sensorischen Wahrnehmungen einen dreidimensionalen Raum. Auch persönliche Überzeugung wird dabei hinein gerechnet. Je überzeugter man ist, desto konsequenter werden für uns unlogische Informationen herausgefiltert. Unser Bewusstsein mag keine Dissonanz, weil es irritiert und die internen Arbeitsprozesse stört: das verbraucht zu viel Energie.

Für uns ist das Endergebnis dieses Rechenprozesses unsere erlebte Realität. Wir nehmen grundsätzlich aber nur wahr, was wir „Wissen“ und vor allem, auf was wir uns fokussieren. Und wir fokussieren uns auf das, was uns emotional betrifft. 

Rottweiler beim "Stellen und Verbellen"Beispiel gefällig? Wenn Menschen von Hunden gebissen wurden, erinnern sie sich oft nur an Zähne, blitzende Augen und Schatten. Der Schreck, die Angst und natürlich auch die folgenden Schmerzen vermischen sich zu einem verzerrten Bild, das für einen Außenstehenden gar nicht nachvollziehbar ist. Das macht es nicht nur emotional belastender für den Betroffenen – es erschwert auch die fachliche Aufarbeitung. „Ohne Vorwarnung gebissen“ ist oft das Resultat. Und das führt zu Hilflosigkeit und Kontrollverlust, obwohl es sich dabei um ein Fokusproblem in Schrecksituationen handelt. Wir haben schlichtweg auf die Zähne gestarrt, weil diese uns akut zu Verletzen drohten. Ein evolutionär bedingter Reflex, der unsere Reaktionsschnelligkeit erhöhen soll. Dadurch muss das Arbeitsgedächtnis aber mehr ausgelassene Informationen konstruieren, um ein dreidimensionales Bild zu schaffen. Und das ist natürlich fehleranfällig.

Genau dieser Vorgang passiert – wenn auch weniger dramatisch - auf dem Hundeplatz, wenn etwas „schief läuft“: Wir fokussieren uns auf bestimmte Momente, weil beispielsweise der Lehrwart, oder ein Trainer, oder unser Partner, oder ein berühmter Sportler ebenfalls darauf fokussiert sind. Oft haben wir eine konkrete Zielvorstellung und versuchen, das aktuelle „Bild“ in diese Vorstellung hinein zu pressen. Das läuft ganz automatisch und ist für uns zunächst auch sehr schwer zu erkennen. Wir glauben dann an bestimmte Fehler, weil unser Bewusstsein diese Realität konstruiert. Andere Informationen, die nicht zu dieser Vorstellung passen, werden schlichtweg ausgeblendet. 

Kann man daran wirklich arbeiten?

Ja, kann man! Und es lohnt sich wirklich. Verhaltensbiologen bedienen sich eines sogenannten „Ethogramms“, um wissenschaftlich unerwünschte Interpretationen und Vorurteile heraus zu filtern. Dabei handelt es sich um einen „Aktionskatalog“, der möglichst detailliert und emotionslos beobachtbare Verhaltensweisen beschreibt. Dabei geht es von Feinheiten wie veränderter Muskeltonus oder minimalste mimische Reaktionen bis hin zu komplexen Bewegungsketten. Diese beobachteten Verhaltensweisen werden dann verschiedenen Funktionskreisen zugeordnet, welche besonders in der Verhaltensbiologie vordefiniert sind. So gewinnt man ein Repertoire, welches später für Einschätzungen genutzt werden kann. 

Schwierig ist dabei die Beobachtung selbst: Oft benötigt man ein Stück Papier, einen Stift und viel Übung, um den Drang der vorgreifenden Interpretation zu überwinden. Wir fokussieren uns dann mehr auf die Aufgabe und erkennen leichter, wann wir in die Gewohnheit der Interpretation verfallen. Früher war das sehr langwierig, frustrierend und eher etwas für Studenten der Verhaltensbiologie.

Heutzutage haben wir ein hocheffizientes Hilfsmittel: Videoaufzeichnung. 

Deswegen lohnt sich der Versuch für jeden, der sein eigenes Training und auch die Kommunikation zwischen sich und dem eigenen Hund verbessern will. Ob der hilfsbereite Vereinskollege, die Standup-Hülle fürs Smartphone oder ein richtiges Stativ mit Kamera. Ihr gewinnt ein immer wieder abspielbares Stück Arbeitsmaterial, an dem ihr üben könnt.

Filmt eurer Training, am besten mehrere Einheiten an verschiedenen Tagen, nehmt euch ein paar ruhige Minuten und einen Stift. Und Papier. Für den Anfang reicht ein ganz grobes Bezugssystem, was eine Videoaufnahme quasi fertig integriert liefert: die Zeitachse. Und dann fokussiert ihr euch auf Details wie:

Körpersprache:

  • Augen
  • Nase
  • Zähne
  • Lefzen
  • Ohrenstellung
  • Fell
  • Rutenhaltung
  • Rutenbewegung
  • Pfoten
  • Krallen/Zehen
  • Stirn


Körperdisplay:

  • Körperschwerpunkt
  • Körperhaltung
  • Körperspannung
  • Raumnutzung

 

Auch ihr liefert Informationen, vor allem über eure Gestik und Haltung. Hunde orientieren sich stark an eurem Körperschwerpunkt und bestimmte Querachsen wie Hüfte und Schulterpartie. Könnt ihr einen Zusammenhang erkennen, wenn ihr euer Körperdisplay und das Verhalten des Hundes zum selben Zeitpunkt vergleicht?

Haltetraining als Basis für das Apportieren

Eine Sekunde Videomaterial beinhaltet UNMENGEN an relevanten Details. Es ist für Laien kaum möglich, diese Details alle wahrzunehmen. Was du selbst nicht siehst oder erkennen kannst liegt höchstwahrscheinlich an deinen persönlichen "Beobachterskills". Vielleicht habt ihr eine Trainingsgruppe, die gemeinsam solches Videomaterial auswertet? Austausch ist ein informativer Booster. Ihr werdet euch über eure Fortschritte wundern!

Für Trainer lohnt sich immer eine professionelle Schulung – warum nicht solch ein universelles Hilfsmittel von vorne rein in den Trainingsalltag integrieren? „Augen auf“ im Hundesport. Dann seht ihr auch, wo ihr mit eurem Hund zusammen hin lauft.

 

 

 

 

 

 

Quelle: 

  • „Predator’s Eye – Mit den Augen eines Beutegreifers“ (Seminar von 2019, Fransi Rottmaier)
  • „Augenzeugen vor Gericht“ (2013, Spiegel.de)
  • „Das Arbeitsgedächtnis – eine Bestandsaufnahme“ (2020, C.Kiese-Himmel)
  • „Ethometrie, Ethogramm, Ethologie“, (1999, Spektrum Verlag)

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