Wenn Blinde von Farben sprechen…

Nasenarbeit mit dem Augentier Mensch

So ein klein wenig Mitleid verdienen unsere Sporthunde schon: Wir Zweibeiner kommen auf die ulkigsten Ideen, uns mit anderen Hundesportteams zu messen. Eine dieser „ulkigen“ Disziplinen ist die Fährtenarbeit.

Na nu? Mitleid mit dem Hund? Der hat ja einen angewachsenen Hochleistungsriechkolben und bemitleidenswert ist eher der Mensch, der bei jedem unsäglichen Wetter in unbequemen Gummistiefeln durch den Acker oder die triefnasse Wiese hinterher gezerrt wird! Ja, es gibt genügend Hundesportler, die jedwede Ambition zu Fährtentraining am liebsten auf den Mond schießen würden. Schließlich ist das ja „nur“ nervige Fleißarbeit und der Hund macht letztendlich eh, was er will. Meistens alles, außer PO-konform zu Fährten.

Da sind wir dann bei Mitleid mit dem Sporthund angelangt.

Tatsächlich wäre Fährtenarbeit für einen halbwegs motivierten, gesunden Hund kein Problem, würde er seine Aufgabe verstehen. Könnte man den informativen Inhalt des Heftchens mit der Prüfungsordnung pulverisieren und unter das Futter mischen, hätten wir sicherlich kein „Fährtenleid“ mehr zu ertragen. Viele Vorgaben der modernen Sportfährte sind nämlich auf dem „Mist“ olfaktorisch eher minderbemittelten Augentiere (fachlicher: Mikrosmatiker) gewachsen und widersprechen sämtlichen Strategien, die ein Hund sich im Laufe seines Lebens angeeignet hat!

Anatomie der HundenaseDer Hintergrund dieser sicherlich wenig schmeichelhaften Aussage ist anatomischer Natur: im Vergleich zum Hund mit seinen circa 150 Quadratzentimetern Riechschleimhaut im Riechepithel des Nasendachs besitzt der Mensch etwa so viel wie eine Briefmarke. Hunde können auch bis zu 60 mal mehr olfaktorische Rezeptoren im Riechkolben (der zentralnervösen Verbindungsstelle zum Gehirn) einsetzen – nämlich rasseunterschiedlich über 250 Millionen. Auch das Hundegehirn reserviert für diese Reizverarbeitung respektable 10 Mal so viel Volumen als unseres: Hunde sind Makrosmatiker (griechisch: Großriecher). Sie können also mit Geruchsinformationen planvoll umgehen, Sinn und Unsinn von Verhalten bewerten und Gerüche zudem in ihren Bestandteilen analysieren. Unser sogenanntes „Riechhirn“ (Rhinencephalon) macht dagegen kaum mehr ein Prozent des Gehirnvolumens aus und ist vergleichsweise unterentwickelt. Wir werden zwar auch von Gerüchen mehr oder weniger bewusst beeinflusst, jedoch hat sich unser Gehirn auf visuelle Reize spezialisiert. Deswegen spricht man bei dem olfaktorischen Bereich auch vom „Paläocortex“, einer sehr alten Gehirnstruktur. Die ist bei den meisten Nicht-Primaten deutlich voluminöser und zeigt entsprechend mehr Aktivität. Auch das für emotionale Verarbeitung verantwortliche limbische System weist strukturelle Verknüpfungen zu diesem Hirnbereich auf. Anatomisch gesehen kann ein Makrosmatiker also gar nicht anders, als zu “Riechdenken“. Ungefähr so, wie wir unsere Umwelt und unsere Wahrnehmungen gewohnheitsmäßig visualisieren.

Doch dem nicht genug:

Eine Hundenase behält die Luft selbst bei hochfrequenten Atemzügen länger als eine menschliche Nase. Dadurch finden mehr Geruchspartikel ihren Weg zur Riechschleimhaut. Zudem können Hunde beide Nasenöffnungen unabhängig voneinander benutzen und die charakteristische Form der Nasenlöcher verhindert ein frühzeitiges Ausstoßen von Geruchspartikeln: das Ausatmen erfolgt über die seitlichen Schlitze. Zusätzlich vermögen Hunde einen Geruch zu „schmecken“ – das beim Menschen zur Funktionslosigkeit verkümmerte Jacobson-Organ dient bei den meisten Wirbeltieren zur innerartlichen Kommunikation. Und die hat es an Informationsgehalt wirklich in sich. Faszinierend!

Jetzt stehen wir aber immer noch auf der Fährte und fluchen herzhaft über das unkooperative Verhalten unseres vierbeinigen Sportskameraden!

Genau da liegt auch das Problem: Unsere Prüfungsordnung verlangt ein Verhaltensansatz, der für das „Riechdenken“ unseres Hundes wirklich nicht gerade sinnvoll erscheint. Unsere Idee von Fährtenarbeit besagt, dem Hund den Geruch von Bodenverletzungen beizubringen – also zertretene Mikroorganismen, beschädigter Erdboden und verletzte Pflanzen. Das ist selbstverständlich leistbar. Aber warum unzählige Übungsstunden mit einer mühsamen, wenig effizienten Methode verbringen? Unsere Hunde machen es, weil wir sie dafür belohnen. Aber die Erwartungshaltung für eine mögliche Belohnung ersetzt nicht das Verständnis für die Aufgabe und da tun wir den Schnüffelkünstlern häufig unrecht. Sie haben eine hervorragende Nase – keine telepathischen Fähigkeiten!

IGP-Fährtenarbeit

So gesehen hängt der Erfolg eines solchen Trainings mehr an unserer Fähigkeit, dem Vierbeiner unseren konkreten Wunsch verständlich zu machen. Da lohnt sich die Frage: Ist mein Weg überhaupt geeignet? Fehlbestätigungen, unangemessener Druck oder zu große Schritte tragen nicht unbedingt zur Verständigung bei. Im Zweifelsfall können wir gar nicht sicher beurteilen, was wir dem Hund „zeigen“: der Individualgeruch des Fährtenlegers wird immer Anhaftungen auf der mechanischen Spur hinterlassen. Wir sehen von außen zwar das gewollte Verhalten (ruhiges, konzentriertes Suchen mit tiefer Nase in den Bodenverletzungen), aber wir haben keine Möglichkeit, die olfaktorischen Informationen nachzuvollziehen. Das erschwert ein klares Feedback an den Hund, ob dies wirklich sein konkreter Auftrag ist. Wir sollten uns daran erinnern, wenn der Hund das nächste Mal von der mechanischen Spur abweicht oder unerwünscht die Nase hebt.

Ein „Riechdenker“ unterscheidet sehr diffizil. Hunde können sogar das Alter von Geruchspartikeln im Sekundenbereich erkennen und Millionen von Einzelgerüchen abspeichern – wie kommen wir also auf die kühne Idee, einen Hund im „Suchen“ unterrichten zu wollen und könnten aus unserer „riechbehinderten“ Perspektive gar strafen und rügen? Damit machen wir uns eher unglaubwürdig.

Fährtenarbeit ist eine standardisierte Vorstellung aus menschlicher Wettkampfperspektive.

Unsere Aufgabe als Trainer und Sportskamerad ist also, dem Hund das Reglement respektvoll und auf der Basis von Fairness beizubringen. Wenn der Hund uns zeigt, dass er diese Herangehensweise als unsinnig empfindet, hat er aus seiner Perspektive völlig recht. Es liegt dann uns, ihm einen Sinn darin zu vermitteln.  Und dafür lohnt es sich, unsere farbenfrohe Perspektive zu verlassen und ein wenig mehr in die Welt der Supernasen hinein zu „schnuppern“. Schließlich können wir visualisieren, was sie uns zeigen ...

 

 

Quellen:

  • Ausbildungsunterlagen Artenspürhunde, Dr. L. Slotta-Bachmeyr
  • „Wie das Riechsystem Informationen verarbeitet“ (2008, Prof. Dr. Stephan Frings, Universität Heidelberg)
  • www.dasgehirn.info/wahrnehmen/riechen-schmecken/die-anatomie-des-duftes
  • „Nasenarbeit“ - Ausbildung und Einsatz von Spezial-und Suchhunden (Bodo Hause/Alfons Fieseler, Ulmer Verlag)

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