Welpenschutz

 

»Eingreifen? Wieso? Er ist doch noch klein und hat Welpenschutz!« Mich erstaunt immer wieder, wie häufig mir aus tiefster Überzeugung heraus solche Worte mit entrüstetem Unterton entgegengeschleudert werden. Und während ich den gut fünf Monate alten »Welpen« dabei beobachte, wie er unablässig – aufgedreht reihum von einem Hund zum anderen rennend – der betagten, fast blinden Dackeldame ins Kreuz springt, den dicken, kastrierten Labradorrüden neckt und mit dem Border Collie, der die Gruppe zusammenzuhalten versucht, um die Wette flitzt, bekommt er nicht mit, dass die gestandene Mischlingshündin, die das Treiben zurückhaltend vom Rande aus verfolgt, jedes Mal stärker die Lefzen hebt und leise beginnt zu Grollen, wenn er an ihr vorbeikommt. 

In dieser bunt zusammengewürfelten Truppe, die sich zufällig beim Gassi gehen getroffen hat, wird ihr Geduldsfaden bald reißen. Völlig zu Recht – und es ist klar, was dann als nächstes kommt: das entrüstete Zetern des »Welpen«-Besitzers, weil die souveräne Hündin den unerzogenen Lümmel (endlich!) in seine Schranken weist und ihm die dringend nötigen hündischen Manieren einzubläuen versucht. Die Lautstärke von dessen Geschrei angesichts der Zurechtweisung wird der seines Besitzers sicher in nichts nachstehen.

Nicht totzukriegen

Die Mär vom universellen Welpenschutz ist eine der sich am hartnäckigsten haltenden Legenden in der Hundewelt. Das mag zum großen Teil damit zu tun haben, dass zwar in Hundevereinen und -schulen die Halter aufgeklärt werden, weite Teile der hundehaltenden Bevölkerung aber nicht auf Hundeplätzen aktiv sind. Gerade jahrzehntelange Hundehalter sehen ob ihrer Erfahrung nicht die Notwendigkeit, ihren Vierbeiner auf diesem Weg auszubilden, oder haben kein Interesse, mit ihm einen Sport oder eine Beschäftigung zu betreiben, die über das Familienhunddasein hinausgeht.

Welpenstunden oder Spielgruppen wiederum erleben zwar seit Jahren großen Zulauf, sind jedoch von stark schwankender Qualität, sodass auch daraus viele Teilnehmer nicht die grundlegende Erkenntnis ziehen, dass es »den« Welpenschutz schlicht nicht gibt. Ein weiter verbreitetes Umdenken in diesem Punkt setzt sich offenbar nur langsam durch.

Nicht zu Ende gedacht

Den größten Anteil am Fortbestand des Welpenschutzmythos dürfte eine ungesunde Mischung mehrerer fehlender Definitionen und falsch verstandener Punkte rund um den Hund und sein Verhalten sein:

  • Was ist ein Welpe?
  • Was ist Schutz?
  • Was ist korrektes hündisches Verhalten beim Welpen, beim erwachsenen Hund, beim Menschen?

 

Ganz grob ist sicher auch der Mehrheit der Menschen bekannt, was diese Punkte bedeuten. Ein Welpe ist ein junger Hund; Schutz heißt, dass ein Lebewesen vor Schaden bewahrt wird; und korrektes Verhalten ist, dass der Hund sich in einer Rudelstruktur zu bewegen weiß und wir als Mensch irgendwie besser Chef von diesem Rudel sein sollten. Das alles ist mehr oder weniger richtig, geht aber einerseits nicht weit genug und wird andererseits auch viel zu oft nicht in letzter Konsequenz auf die eigene Praxis angewendet. Der Teufel aber steckt genau in diesen wichtigen Details.

Definitionsproblem: Welpe

Das Problem bei dieser Definition ist, dass viele Hundehalter ihren sechsmonatigen, pubertierenden Halbstarken noch immer als Welpen sehen. Das ist der dann rüpelhafte Teenager aber schon lange nicht mehr, auch wenn er noch nicht erwachsen ist.

Ein Welpe ist ein junger Hund bis zum Alter von etwa vier Monaten. Daran schließt sich die Junghundphase an. In der ersten Hälfte der Welpenzeit haben die Kleinen viele Freiheiten bei ihrer Mutter, lernen von ihr und untereinander aber auch die Grundlagen von Kommunikation und Sozialverhalten.

Spätestens mit der zweiten Hälfte der Welpenzeit beginnt eine härtere Gangart in der Erziehung, jetzt auch durch die eventuell vorhandenen anderen älteren Hündinnen im Rudel. Dabei haben alle Rudelmitglieder in der Regel eine klare Beißhemmung, erziehen aber alles andere als mit Samthandschuhen. Die Welpen lernen hier die Grundprinzipien des hündischen sozialen Gefüges und Verhaltens in einer Weise, wie wir Menschen es einem jungen Hund niemals bieten können. Davon profitiert er lebenslang!

Definitionsproblem: Schutz

Bei der Definition von Schutz ist das Problem weniger offensichtlich. Die meisten Menschen werden hier unwillkürlich daran denken, ein Lebewesen, das sich nicht wehren kann, beschützen zu müssen. Das ist auf der einen Seite ehrenhaft und in manchen Situationen natürlich auch erforderlich – schließlich sind bei weitem nicht alle fremden Althunde sozialverträglich und junghundtolerant.

Auf der anderen Seite nützt aller Schutz dieser Art nichts, wenn der Schützling die kritische Situation mit seinem eigenen unpassenden Verhalten auslöst, dieses aber für ihn dann ohne Konsequenzen bleibt. Ein solcher »Schutz« ist nichts anderes als übermäßiges Behüten und verhindert ein Lernen beim Schützling – irgendwann wird der behütende Mensch einmal nicht da sein, und dann kann die Reaktion der anderen Hunde auf den sich noch immer unpassend verhaltenden Schützling blitzschnell eskalieren. (Was wiederum die Sichtweise des Menschen verstärkt, dass er seinen Hund nicht beschützen konnte, weil er nicht da war … der Teufelskreis ist perfekt.)

Der einzig nachhaltige und zuverlässige Schutz für einen Hund im Umgang mit anderen Hunden ist, dass er die Spielregeln des hündischen Zusammenlebens lernt und anwendet. Hierzu muss er im direkten Kontakt mit anderen, kopfklaren Hunden die Grenzen des eigenen Verhaltens kennenlernen – und zwar auf Hundeart.

WelpenschutzKorrektes hündisches Verhalten: Welpe, erwachsener Hund, Mensch

Von den Definitionen von Welpe und Schutz abgesehen ist vielen Hundehaltern nicht klar, was es bedeutet, wenn sich ein Welpe oder ein erwachsener Hund korrekt verhält – und entsprechend auch nicht, wie sie als Mensch im hündischen Gefüge sich korrekt verhalten, also wann sie wie eingreifen müssen und wann nicht. Sie wissen nicht, zwischen einem erziehenden und einem aggressiven Hund zu unterscheiden: Knurren und der Einsatz der Zähne werden per se als »böse« empfunden und dabei isoliert von allen anderen Kommunikationselementen betrachtet; bedeutungsentscheidende Feinheiten in der Körpersprache werden nicht erkannt; die Gesamtsituation einschließlich aller anderen beteiligten Hunde wird nicht vollständig erfasst.

Entsprechend wird viel zu häufig ein korrekt erziehender Althund, der Fehlverhalten direkt und unmissverständlich sanktioniert, als aggressiv gegenüber einem Welpen/Junghund wahrgenommen und dessen Erziehungshandeln vom Menschen abgebrochen. Dieses Unverständnis für das hündische Erziehen und für das, was der junge Hund als Erziehungsmaßnahme braucht und versteht, führt zu weiterer Verwirrung und Verunsicherung beim Hund, die sich im schlimmsten Fall verfestigt.

Woher kommt der Mythos?

Wie typisch bei in Verbänden lebenden Säugetieren, die sich um ihren pflegeintensiven Nachwuchs besonders kümmern müssen, genießen auch Welpen besonderen Schutz innerhalb ihres eigenen Rudels – nicht aber außerhalb und wenn sie keine Welpen mehr sind. Der menschengemachte Mythos um den Welpenschutz könnte eine Folge der Vermenschlichung unserer Hunde sein: Das typisch menschliche Verhalten, alle Babys und Kleinkinder süß zu finden, auch die fremder Menschen, wird auf den Hund übertragen.

Dabei wird nicht nur außer Acht gelassen, dass Hunde sich sehr, sehr viel schneller zu Teenagern entwickeln als Menschenkinder, sondern auch, dass Hunde ihre Lehr- und Lernmethoden noch nie Modewellen in Erziehungsfragen angepasst haben, wie es der Mensch tut. Hunde erziehen auch heute noch wie vor vermutlich tausenden von Jahren bereits: schnell, unmissverständlich und mit den ihnen zur Verfügung stehenden Ausdrucksformen – klare Kommunikation ohne Diskussionen. 

Um dem Welpenschutzmythos den Garaus zu machen, müsste viel stärker grundlegendes Hundewissen in der Gesellschaft verbreitet werden: über die kurze Dauer der Welpenphase, über die nicht automatisch akzeptierte Sonderstellung junger Hunde bei Fremdhunden und vor allem auch darüber, das korrekte Erziehungsverhalten eines gut sozialisierten Althundes von aggressivem, unangemessenem Verhalten unterscheiden zu können. Wie so oft liegen auch bei diesem Themenkomplex die Probleme also weniger bei den Hunden, sondern sind menschengemacht.

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