„Wer geht schon mit einem Hetzarm über die Straße?!“ Teil 1

INTERVIEW: Dr. Esther Schalke räumt mit Vorurteilen gegenüber der Ausbildung im Schutzdienst auf

Dr. Esther Schalke ist für den Hundesport ein Glücksfall! Sie ist die perfekte Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Tiermedizin und dem Hundesport. Sie ist Mitglied im DVG Ibbenbüren-Bockraden und kennt den VPG-Sport seit ihrer Kindheit, hat wissenschaftlich an der Tierärztlichen Hochschule Hannover am Institut für Tierschutz und Verhalten mit dem Forschungsschwerpunkt Lernverhalten und Aggressionsverhalten bei Hunden gearbeitet und ist promovierte Fachtierärztin für Tierverhalten. Kurz gesagt: Sie weiß, wovon sie spricht! 

 

Ich treffe Frau Dr. Schalke in einem Café in Hörstel. Schnell stellt sich heraus, dass sie eine aufgeschlossene Gesprächspartnerin ist. Sie gibt mir zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, die überlegene Expertin zu sein, die sie zweifelsohne ist. Schnell sind wir beim „Du“ angelangt. Mit ihrer herrlich lockeren und freundlichen Art hat sie sich vor keiner Frage gedrückt, was leider nicht selbstverständlich in der Hundesportszene ist, und bereitwillig Auskunft gegeben.

Im Verlauf unseres Gesprächs gesellte sich dann noch ihr Mann Hans Ebbers dazu, der ebenfalls sehr kompetent aus seiner Sicht als zertifizierter Hundetrainer der Tierärztekammer Niedersachsen, Leistungsrichter und aktiver Hundesportler Sachverhalte beleuchtete.

 

Kannst Du bitte kurz Deinen Bezug zum Hundesport schildern und in welchen Sportarten Du aktiv bist bzw. warst.

Dr. Esther Schalke: Angefangen habe ich als Kind. Da gab es bei uns nur Schutzhundesport. Später habe ich dann auch Rettungshundearbeit gemacht – Flächen- und Trümmersuche. Ich bin Mitglied hier im DVG. Das ist ein reiner VPG-Platz. Im Moment habe ich selber keinen Hund, den ich im IPO-Sport führe. Aber wir trainieren gemeinsam den Mali meines Mannes. Ich persönlich habe eine Labradorhündin, die ich im Mantrailing ausbilde. Dann mache ich mit ihr noch Dummy-Arbeit und führe sie auch jagdlich. Das macht mir mehr Spaß, als der Dummy-Sport. Außerdem habe ich noch eine Bloodhound-Hündin. Die ist schon uralt. Mit der habe ich nur Mantrailing gemacht, aber die ist jetzt in Rente. Hans hat noch einen Diensthund, mit dem er arbeitet und den Mali, den wir im Schutzdienst ausbilden. VPG! Schutzdienst darf man ja nicht mehr sagen.

 

Einige Deiner Kollegen haben klare Vorbehalte gegen den Schutzhundesport. So sagte Dr. Udo Gansloßer z. B. in der NDR-Sendung „Panorama 3“ am 22.01.2013 Folgendes: „Das ist nicht ungefährlich: Denn genau wie die Ausbildung zum Diensthund macht auch der Schutzhundesport die Tiere aggressiv. Wir erziehen mit der Zeit einen Aggressionsjunkie, der von Mal zu Mal mit einer niedrigeren Reizschwelle, also mit einer noch höheren Bereitschaft zum Angriff, dann auf die nächste Situation regelrecht wartet. Wir sprechen hier von Lustbeißern, er findet es dann irgendwann wirklich spaßhaft zuzubeißen“. Wie siehst Du das?

Dr. Esther Schalke: Zuerst nehme ich mal das „man macht die Hunde aggressiver“. Es gibt ja kaum Statistiken dazu, aber die Schweizer haben eine Anzeigepflicht bei Hundebissen. Deshalb habe ich mir mal von einem Schweizer Kollegen die Statistik von einem Jahr geben lassen und geschaut, wie viele Hunde aus dem Sport dabei waren. In dem Jahr gab es, wenn ich mich richtig erinnere, ungefähr 270 Beißunfälle. Ich habe mich gewundert, dass es so viele waren. Wobei man dazu sagen muss, dass auch Welpenbisse, die eine Tetanusimpfung nach sich ziehen, dort meldepflichtig sind. Man muss da also vorsichtig mit der Bewertung sein. Aber von den ganzen Vorfällen, war nur ein einziger Hund dabei, der im Sport geführt wurde und der kam weder aus dem VPG-Sport noch aus dem Mondioring. Alles andere waren reine Familienhunde. Das wäre die statistische Seite. 

SignalkontrolleDann zu dem Aggressionsverhalten im Sport. Es ist ja so, dass die meisten Hundesportler, die VPG machen, ohne dass ihnen das wirklich klar ist, gar kein Aggressionsverhalten wachrufen. Aber sehen wir uns zuerst einmal an, wie es sein sollte. Der Ärmel ist ja nichts weiter als eine Beutebelohnung. Jeder, der aus dem Sport kommt, weiß, ob es ein Bällchen oder ein Hetzarm ist, ist völlig egal. Für den Hund ist der Arm nur eine Belohnung mit einer höheren Wertigkeit. Worauf man achten muss, ist, dass man eine gute Signalkontrolle hat. Die schreib ich dir mal auf:

  1. Wenn du eine Person hast, mit Arm, und die Person steht im Versteck, dann ist das nichts anderes als das Signal, wie wir es lerntheoretisch nennen, für Verbellen. 
  2. Wenn du eine Person hast plus Ärmel aber minus Versteck, also der Helfer steht außerhalb des Verstecks, dann ist das nichts weiter als das Signal für das, was wir immer so schön die Bewachungsphase nennen. 
  3. Wenn du dann eine Person hast ohne Ärmel, egal wo sie steht, auch im Versteck, also generalisiert, ist das gar kein Signal. 

 

Wenn man das so ausbildet, was ja die meisten auch ganz sauber so machen, dann ergibt sich daraus, sobald die Person keinen Ärmel hat, ist sie kein Signal. Und wenn man das auch ganz bewusst als Trainingseinheit hintereinander und nebeneinander schaltet, so dass das Tier das lernen kann, dann besteht keine Gefahr.

 

Also ist die Aussage von Dr. Gansloßer Populismus?

Dr. Esther Schalke: Ich weiß nicht, ob das Populismus ist. Das will ich Udo nicht unterstellen. Meine Frage an ihn wäre, wie viel hast du dich mit dem Schutzdienst, wie er im Sport praktiziert wird, auseinandergesetzt. Ich kenne das auch aus der Tierärzteschaft, dass viele Kollegen sagen, das macht die Hunde aggressiver. Wenn man dann fragt, wann warst du denn das letzte Mal auf einem Hundeplatz und hast zugeguckt, dann ergibt sich oft, dass sie nur ein- oder zweimal im ganzen Leben Schutzdienstausbildung gesehen haben und das ist dann meistens auch schon ziemlich lange her. Und da haben wir ja auch noch ein bisschen anders gearbeitet - muss man ehrlicherweise sagen. 

Dann die Frage der Aggression ... Wenn es zur Aggression kommt und man den Hund in einen Konflikt holt, dann ist es so, dass der Hund das Konfliktverhalten tatsächlich mit dem Sozialpartner, in diesem Fall dem Menschen, assoziiert. 

Deshalb sage ich immer: seid vorsichtig mit dem Aggressionsverhalten. Das, was ihr eigentlich haben wollt, ist doch, dass der Hund drangvoller verbellt. Was die meisten Leute damit meinen, ist, dass der Hund so ein bisschen in die Frustration kommt. Und das ist für mich der Unterschied! 

Frustration als Emotion kann jetzt zu verschiedenen Reaktionen führen. Kennt der Hund eine Lösung, weil ich sie ihm vorher beigebracht habe, dann geht er ins Verbellen. Das ist das, was wir wollen. Dann zeigt er ein drangvolleres Verbellen. Kennt er die Lösung nicht, dann könnte es sein, dass er ins offensive Aggressionsverhalten rutscht. Der Hund ist im Verbellen nicht total sicher und kann seine Frustration dann nicht in das Verhalten stecken, sondern sucht nach einer anderen Strategie. Das ist lediglich davon abhängig, wie gut ich das vorher ausgebildet habe. 

Aber man kann ja nicht einen ganzen Sport verteufeln, weil es ein paar Leute gibt, die da noch nicht auf dem neuesten Stand des Trainings sind

 

Ich habe auch eher den Eindruck, dass Leute, die gar keinen Bezug zum Hundesport haben, den Schutzdienst gar nicht als problematisch ansehen. Viel kritischer sind tierschutzrelevante Ausbildungsmethoden. Das will keiner mehr sehen.

Dr. Esther Schalke: Das ist ja noch mal ein ganz anderes Kapitel. Es kann auch mal tierschutzwidriges Training Aggressionsverhalten auslösen, weil du einen Hund hast, der sich dagegen wehrt. Aber das würde ich voneinander trennen. Was natürlich sein könnte, und da ist der Schutzdiensthelfer gefragt, wenn man einen Hund psychisch belastet und der wird unsicher und rutscht dadurch ins Aggressionsverhalten und dann weicht der Helfer zurück oder bleibt stehen, dann lernt er, dass defensives Aggressionsverhalten erfolgreich ist. Und das ist wirklich ein No-Go für unseren Sport. Das ist etwas, was im Dienst gebraucht wird, aber das gehört nicht in den Sport!

 

Weil das leicht generalisiert wird und auf Alltagssituationen übertragen werden kann?

Dr. Esther Schalke: Genau. Weil der Hund dann lernt, dass Aggression eine Lösungsstrategie sein kann, wenn mich ein Mensch belastet. 

 

Noch mal zurück zu der Aussage von Dr. Ganzloßer. Da haben wir festgestellt, dass aus einer sportlichen Ausbildung im Schutzdienst, wie wir sie oben als vernünftig festgelegt haben, keine Gefahr der Generalisierung von Aggressionsverhalten besteht. 

Dr. Esther Schalke: Wenn du das über das Jagdverhalten, also Beuteverhalten machst ... Wer geht schon mit einem Hetzarm über die Straße?!

 

Helfertreiben im SchutzdienstJetzt ist aber Helfertreiben für das Verbellen sehr populär geworden. Und da gibt es natürlich von denen, die sich nur vertreiben lassen, bis zu denen, die den Hund dabei stark bedrohen, alle Extreme. Das wird teilweise so betrieben, dass die Hunde die Augen schon vor dem Kopf stehen haben und nach allem schnappen, was sie kriegen können. Ab wann wird das gefährlich?

Dr. Esther Schalke: Es wird dann gefährlich, wenn der Hund ins defensive Aggressionsverhalten wechselt, weil er sich wirklich belastet fühlt und dann lernt, wenn er ins Aggressionsverhalten geht, kann er was bewirken. Bei den Hunden, die einfach nur immer höher drehen im Sinne einer Frustration aufgrund der Beutemotivation, halte ich das nicht für den schlauesten Ausbildungsweg, aber da hat er dann keinen Konflikt mit dem Helfer. Da hätte das keine Auswirkung. Aber da, wo du den Hund so belastest, dass es zur defensiven Aggression kommt, da kann es gefährlich werden. 

 

Das hat also sehr viel mit dem Fingerspitzengefühl des Ausbilderteams zu tun.

Dr. Esther Schalke: Das steht und fällt mit deinem Schutzdiensthelfer. Erkennt er das, was er da gerade macht, im Ausdrucksverhalten? Das ist für mich das A und O. Unsere Schutzdiensthelfer müssten, was das Lesen von Hunden angeht, so gut geschult werden, dass sie die Feinheiten in der Mimik sofort wahrnehmen.

 

 Was aber ganz schön schwer ist.

Dr. Esther Schalke: Das ist gar nicht so einfach. Das stimmt. Das muss man viel üben und zwar mit jemandem, der fit im Ausdrucksverhalten ist, der simultan sagt, jetzt siehst du das, jetzt siehst du das.

 

Wahrscheinlich am besten mit Videoaufnahmen, oder?

Dr. Esther Schalke: Wir haben ja den Wesenstest an der Hochschule gemacht. Und nach dem ersten Wesenstest haben wir uns den ganzen Nachmittag die Hunde anguckt - wieder und wieder. Irgendwann bist du so gut trainiert, da brauchst du das nicht mehr. Da lässt du die Aufnahme nur noch mitlaufen, um zu checken, ob es wirklich stimmt. Aber am Anfang haben wir manche Hunde drei-, viermal angeschaut, bis wir sagen konnten, das ist so und so. 

Ich glaube, dass die Schulung der Helfer enorm wichtig ist. Damit die Leute auch wissen, was sie da vorne machen. Hans Ebbers

 

Falsche Motivationslage führt zu FehlernDas betreiben die Vereine ja sehr unterschiedlich. Beim SV kann jeder einen Anzug anziehen und schon ist er Helfer. Bei anderen Vereinen muss man zuerst eine Helferprüfung ablegen.

Hans Ebbers: Eine Helferarbeit setzt sich ja aus verschiedenen Komponenten zusammen. Sicherlich gehört zum einen körperliches Geschick dazu. Aber für die Ausbildung ist es am wichtigsten zu erkennen, in welche Motivationslage steuere ich den Hund und was kann er dann überhaupt noch leisten. Wenn beim Verbellen mehr Belastung auf den Hund gemacht wird und er aus der Defensive reagiert, warum sollte er dann noch sauber verbellen? Dann wird er Fehler machen und wird anbeißen. Weil er an dieser Stelle dann einen Kampf führt. Da kann er kein technisches sauberes Verhalten mehr zeigen. Und fühlt er sich so belastet, dann wird er diese Aggression auch ins Griffverhalten setzen. 

Wenn man an einer Schraube dreht, muss man auch wissen, was dadurch an anderer Stelle passiert.

 

Genau an dieser Stelle entgleist Ausbildung auch sehr schnell. Da wird dann gesagt, der macht nicht sauber Aggression, der wechselt immer wieder in die Beute, der will hier anbeißen und dann kommen die Korrekturen durch Zwangseinwirkung.

Dr. Esther Schalke: Da geht es nicht so sehr um Aggression, sondern mehr um Lernverhalten. Aber diese Schulungen der Helfer ... Eine genaue Definition, an welchem Trainingskriterium jetzt eigentlich gearbeitet wird, ist sehr wichtig. Da wird im Moment noch zu viel durcheinander geschmissen. Man muss da für den Hund sehr präzise sein. Dann hätte man dieses Chaos auch nicht, was du gerade beschreibst. Weil dem Helfer dann klar wird, dass er an sechs Sachen auf einmal arbeitet. Was lerntheoretisch gar nicht funktionieren kann.

 

Einige Hundesportler behaupten, dadurch dass der Hund regelmäßig sein Aggressionsverhalten ausleben kann, baut er Stress ab und ist ausgeglichener. Kritiker sagen hingegen, dadurch übt er Aggressionsverhalten ein und wird gefährlicher.

Hans Ebbers: Auch hierbei kommt es darauf an, in welchem Aggressionsbereich der Hund gerade ist. Reagiert er mit defensivem Aggressionsverhalten, verstärkt es sich. Im Diensthundewesen machen wir das ganz bewusst. Bestärke ich ihn in diesem Lösungsweg, dann wird er in jeder Situation, wo er eine Belastung empfindet, Aggressionsverhalten zeigen und nach vorne marschieren. Das ist ja das, was den Diensthund ausmacht. Aber das Gleiche passiert auch im Privatleben. Das Problem ist nur: wenn der Hund diesen Lösungsweg gelernt hat, dann wird er um 16:00 Uhr nicht sagen, ich hab Feierabend, ich such mir jetzt einen anderen Lösungsweg.

 

Wie hoch ist der genetische Einfluss auf das Aggressionsverhalten?

Dr. Esther Schalke: Dazu gibt es eine Studie vom schwedischen Militär. Die haben eine landeseigene Zucht. Eigentlich ist es eine militärische Zucht, aber sie geben auch Hunde an den Polizeidienst ab. Der Genetiker, der die Zucht betreut, hat mal geguckt, welche Eigenschaften sich eigentlich wie stark vererben. 

Was hat hohe Heritabilität? Und die Art der Konfliktlösungsstrategie, Aggressionsverhalten ist ja nur eine Konfliktlösungsstrategie, hat keine hohe Heritabilität. Weil es sehr stark durch Lernverhalten zu beeinflussen ist.

Emotionalität und Selbstbewusstsein haben jedoch eine hohe Heritabilität. 

 

Frau Dr. Feddersen-Petersen hat mal Folgendes gesagt: „Als Kriterium der Zuchtauswahl halte ich den heutigen „Schutzdienst“ (streng nach der Prüfungsordnung im spielerischen Sinne durchgeführt) für unverzichtbar.“ Ich halte da zum Beispiel die DMC-Körung für viel aussagekräftiger. Weil man ja im Schutzdienst nur erlerntes Verhalten sieht. Wie siehst Du das?

Dr. Esther Schalke: Das ist der Punkt. Aber das ist bei der Körung auch schon fast so. Du hast immer bestimmte Lernkomponenten dabei. Aber die Frage ist, wonach guckst du, um selektieren zu können? Und worauf wollen wir überhaupt selektieren? Darüber müssen sich die Vereine erst mal im Klaren sein. Was ist euer nächstes Zuchtziel?  

Schutzdienst mit MalinoisMan kann nicht die "Eierlegende Wollmilchsau" züchten. Du kannst auch nicht alles auf einmal selektieren. Du musst dir einen oder zwei Schwerpunkte setzen. Vielleicht einen im Verhalten und einen in der Gesundheit.  

Man müsste eine Standerhebung machen. Wo steht der Deutsche Schäferhund? Wo steht der Dobermann? Wo steht der Rottweiler? Und sich dann fragen, was wollen wir verändern. Ich nehme mal etwas, was mir persönlich gefallen würde. Ich sehe, dass wir immer mehr auf Geschwindigkeit selektieren. Geschwindigkeit und extrem leichte Erregbarkeit gehen jedoch ganz häufig Hand in Hand. Dadurch züchten wir zwar immer schnellere Hunde, die aber, ich nenne es mal unethologisch, nicht mehr so belastbar sind. Wollen wir das wirklich? 

Ich nehme mal ein Beispiel aus der Dummyarbeit und der Labradorzucht. Da haben wir das auch ganz massiv. Wir haben Züchter, die wollen immer mehr Style – also Geschwindigkeit in der Dummyarbeit. Die Hunde sind richtig schnell, aber sie werden immer schwieriger für die richtige Jagd. Sie sind zum Teil so leicht in der Erregung ansprechbar, dass sie, wenn sie wirklich mal lange irgendwo sitzen müssen, das fast nicht mehr nervlich durchhalten. Es geht also immer wieder um die Frage, worauf legen wir Wert, wenn es um die Vererbbarkeit geht. Und da muss sich auch der Sport fragen, worauf legen wir unseren Schwerpunkt? Wofür gibt es viele Punkte? Denn wir müssen uns nichts vormachen, der, der auf dem Treppchen steht, wird auch als Vererber immer gefragt sein.

 

Es wird auf Hundeplätzen immer von triebstarken Hunden, Wehrtrieb, Aggressionstrieb usw. gesprochen. Sind diese Bezeichnungen richtig?

Dr. Esther Schalke: Nein. Aggression ist kein Trieb, sondern eine Reaktion auf einen äußeren Reiz.

 

Wie müsste man es dann richtigerweise benennen?

Dr. Esther Schalke: Man könnte statt Beuteverhalten, weil da würde man sich ja nur auf das Verhalten beziehen, noch Jagdtrieb sagen. Es gibt ja einen eigenen inneren Antrieb, jagen zu gehen. Jeder weiß ja eigentlich, was gemeint ist. Ich will mich jetzt auch nicht so sehr daran aufhängen, aber wenn wir es mal ethologisch richtig benennen wollen, dann wäre der ehemalige Wehrtrieb das defensive Aggressionsverhalten. Das offensive Aggressionsverhalten hieß früher konkurrenzbedingte Sozialaggression. 

Die beiden unterscheiden sich hinsichtlich der Emotion, die das Verhalten auslöst. Das eine Verhalten wird aufgrund von Unsicherheit gezeigt. Da ist Furcht oder Angst die Motivation. Bei dem anderen Verhalten ist es die Konkurrenz um eine Ressource oder Frust. 

  

Begriffe wie Wehrtrieb, Beutetrieb, Meideverhalten kommen aus der Triebtheorie von Konrad Lorenz. Die ist ja nicht mehr haltbar.

Dr. Esther Schalke: Er selbst hat gesagt, er hat sich geirrt.

 

Und trotzdem hält es sich Jahrzehnte danach noch?!

Dr. Esther Schalke: Wir sprechen heute von Trieb bei allem, wo es einen eigenen inneren Antrieb gibt, dieses Verhalten zu zeigen. Das hast du im Jagd-/Beuteverhalten. Da kann man es Jagdtrieb nennen. Alles andere ist immer eine Kommunikation, eine Interaktion. Das Gleiche gilt für das Meideverhalten. Das entsteht ja auch aufgrund der Agonistik. Das Tier hat ja, sobald ein Stressor ins Spiel kommt, vier Möglichkeiten zu reagieren.

 

Die vier F´s.

die vieFsDr. Esther Schalke: Genau. Die klassischen vier F´s: FIGHT, FREEZE, FLIGHT, FLIRT/FIDDLE. Und davon ist Vermeiden, also Flucht, ja eine mögliche Reak-tion. Und das ist kein eigener innerer Antrieb. Sondern der Hund erkennt die Situation und vermeidet den Schaden. Und von daher ist die Bezeichnung Trieb nicht gerechtfertigt.

 

Ressourcenverteidigung war gerade noch ein Stichwort. Im Mondioring gibt es die Übung „Bewachen eines Gegenstandes“, die der Hund alleine ohne seinen Hundeführer ausführen muss. Besteht da die Gefahr einer Generalisierung? Könnte er eine Ressourcenaggression entwickeln?

Dr. Esther Schalke: Wenn du dir mal Videos vom KNPV anguckst, da machen die meisten Hunde das nicht aus der offensiven Aggression, das heißt, die verteidigen gar nicht ihre Ressource, sondern die machen das aus der defensiven Aggression, die verteidigen gerade ihr Leben. Die haben gemerkt, dass es schlecht für sie läuft, wenn sie da nicht ins Aggressionsverhalten gehen. Den Gegenstand haben sie nur als Kontext verstanden. In diesem Zusammenhang muss ich aufpassen, wenn da jemand kommt, dann ist das bedrohlich für mich. Da muss ich natürlich wirklich kontextbezogen bleiben. Wenn ich den Kontext da vernachlässige, dann fängt der Hund sofort an zu generalisieren: Menschen, die so auf mich zukommen, die sind gefährlich für mich. Das könnte schon Auswirkungen auf den Alltag haben. Es besteht die Gefahr, dass das mit dem Ausdrucksverhalten des Menschen assoziiert wird.

Hans Ebbers: Aber nichtsdestotrotz könnte man die Objektbewachung auch so aufbauen, dass es nichts mit einer Belastung und dem Bereich der Agonistik zu tun hat. Wenn es wirklich im Bereich der Ressource ist, dann gehe ich nicht über Aggressionsverhalten, sondern über die Bewegung.

 

Wie würde das aussehen?

Hans Ebbers: Der Aufbau wäre anders. Der hätte dann nichts mit Belastung zu tun, sondern mit Frustration durch Konkurrenz und Wegnehmen. Zuerst muss ich dem Hund ein technisches Verhalten beibringen, damit er weiß, was er machen soll. Danach kann man etwas Frustration mit ins Spiel bringen, um ein energischeres Verhalten zu bekommen. Das ist ja auch in anderen Bereichen im Ringsport so. Bei der Verteidigung des Hundeführers zum Beispiel. Das ist eine rein technische Übung. Der Hund lernt, dass er in den Vollschutz beißen soll, wenn der Helfer den Hundeführer berührt. 

Und so lange das im Beuteverhalten abläuft, und der Vollschutz ist ja ein Signal für Beuteverhalten, hat das mit dem Menschen erst mal nichts zu tun. Im Dienst trainieren wir sehr wenig mit dem Vollschutz. Denn, wenn der Vollschutz als Kontext nachher im Dienst fehlt, dann wird der Hund den Täter fragen, ob er irgendwo eine Person mit Vollschutz gesehen hat. 

 

Weiter gehts dann nächste Woche im Teil 2 des Interviews mit interessanten Antworten zu Hundequalität. Ausdrucksverhalten und auch zum Thema E-Gerät. 

 

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