Experte aus Leidenschaft?

Dunning-Kruger-Effekt, Selbstüberschätzung und Geltungsdrang im Hundesport

In der Hundewelt wimmelt es von „Experten“. Besonders auffällig bei Problemstellungen, die mit emotionalen Belastungsfaktoren zusammenhängen: Wer als Hundetrainer etwas hermachen möchte, ist selbstverständlich Experte für Aggression, Angstverhalten oder sonstige Abnormitäten. Hauptsache, es klingt dramatisch und verspricht viele Anlässe, sich selbst in brenzlichen Situationen besonders souverän und kompetent zeigen zu können. Was übrigens selten genug funktioniert, wenn man nicht über die tatsächliche Kompetenz verfügt..

Im Hundesport gestaltet sich das Feld übersichtlicher, da hier eine konkrete Messlatte besteht: Wer gute Erfolge erzielt oder besonders viele Schützlinge erfolgreich nach vorne gebracht hat, muss dafür schon etwas können. Und sei es eine geschickte Zusammenarbeit mit einem guten Team.

Hinter „Expertenwissen“ steckt vor allem eins: Viel, viel Arbeit, Lernbereitschaft, Neugier, Offenheit und so mancher erlittene Fehlschlag. Denn die graue Theorie muss ihren Weg in praktische Erfahrung finden, damit man ihre vielen Facetten erkennen lernt. Ein Buch lesen zu können unterscheidet sich schließlich vom inhaltlichen Verstehen. Einen Inhalt zu verstehen muss noch nicht bedeuten, ihn auch praktisch anwenden zu können. Und kann ein guter Praktiker zuletzt seinen Mitmenschen auch Wissen in nützlicher Form weitergeben?

Unbestreitbar benötigt man Leidenschaft für sein „Fachgebiet“, um irgendwann als Experte wahrgenommen und vor allem auch von anderen anerkannt zu werden. 

Was aber, wenn die Leidenschaft auf das begehrte „Image“ mehr antreibt, als tatsächliche Hingabe für den Wissenszuwachs besteht und man diesen zugegeben wenig sympathischen Charakterzug nicht mit seinem Selbstbild unter einen Hut bekommt?

Manche Menschen wollen glänzen, obwohl sie keinen Schimmer haben. (Heinz Erhard) 

 

Für die „Selbstüberschätzung der Halbwissenden“ gibt es einen eigenen Fachbegriff: Dunning-Kruger Effekt.

Dieser wurde 1999 durch die amerikanischen Psychologen David Dunning und Justin Kruger publiziert, nachdem sie an der Cornell Universität (New York) untersucht hatten, warum Inkompetenz nicht zwangsläufig zu weniger Selbstbewusstsein führt. Laut dem berühmten Naturforscher Charles Darwin im 19. Jahrhundert erzeuge Unwissenheit „viel häufiger Selbstvertrauen als Wissen.“ Viel geändert hat sich daran bis heute nicht. 

Diese vier Erkenntnisse formulierten Dunning und Kruger am Ende der Untersuchung:

  1. Weniger kompetente Menschen neigen dazu, ihre Fähigkeiten zu überschätzen.
  2. Sie können das Ausmaß ihrer eigenen Inkompetenz nicht realistisch erkennen.
  3. Überlegenen Fähigkeiten anderer Menschen nehmen sie nicht wahr, können davon also auch nicht lernen.
  4. Bedingt durch diese Ignoranz versäumen sie die Gelegenheit, ihre Kompetenz durch gezieltes Lernen und Verbessern zu steigern

 

„Die Fähigkeiten, die Sie benötigen, um die richtige Antwort zu geben, sind genau die Fähigkeiten, die Sie benötigen, um zu erkennen, was eine richtige Antwort ist“, fasste David Dunning trefflich zusammen.

Border Collie

Bei diesem unschönen Effekt handle es sich übrigens nicht um eine Erkrankung, sondern eine fehlerhafte Selbsteinschätzung, die jeden treffen könne – so der Sozialpsychologe Prof. Dr. Erb in seinem Podcast über den Dunning-Kruger Effekt. Wir kennen das von Berufsanfängern „frisch aus der Lehre“ und deren häufig rasch gedämpfter Selbstüberzeugung. Und auch der typische Hundesportler, der in der Ortsgruppe mit dem ersten Hund eine halbwegs ordentliche Prüfung bestritten hat, sieht sich oft schon auf der nächsten Landesmeisterschaft – bis die erste Prüfung auswärts ansteht. Normalerweise reguliert sich dieser „Höhenflug“ schnell und die tatsächliche Kompetenz steigert sich dann erheblich, indem Fehler und Rückschläge mit anderen Hundesportlern reflektiert und dadurch Lücken erkannt und behoben werden können. Kann man später dann über den eigenen „Höhenflug“ samt uneleganten Landung wohlwollend lächeln, sinkt das Risiko ohnehin. Man hat ja gelernt, die eigene Einschätzung sorgfältiger zu hinterfragen und erntet zur Belohnung dann den Erfolg.

Schwierig wird es, wenn auf diese menschliche Eigenheit noch Faktoren wie ausgeprägter Geltungsdrang oder klinisch relevante Störungen der Selbstbewertung treffen:

Die Kluft zwischen tatsächlicher Kompetenz und dem starken Wunsch, als „Experte“ wahrgenommen und anerkannt zu werden, wird immer größer. Berechtigte Kritik, eigenes Versagen oder die Konkurrenz von sichtlich überlegenen Sportskollegen erzeugt so viel innere Spannung, dass zu der eigenen Selbstüberschätzung nun auch zwanghafte Abwertung und Missgunst gegenüber Bedrohungen der „persönlichen Seifenblase“ ausgepackt werden müssen. Schließlich fehlt ja der Lösungsansatz, Unsicherheit oder Furcht vor Beschämung und Versagen mit konsequenter Erweiterung der eigenen Fähigkeiten zu bekämpfen. Dadurch sabotieren sich die Betroffenen letztendlich selbst: Fachwissen, Anwendungskompetenz und Anerkennung hängen stark von offenem Austausch, Experimentierfreude und letztendlich der Fähigkeit ab, sich selbst und die eigenen Fehler realistisch wahrzunehmen. 

Oft ziehen solche „selbsternannte Experten“ Menschen an, die Sicherheit und Anleitung suchen. Selbstbewusstsein und aggressives Positionieren kann attraktiv wirken und wer sich selbst als unerfahren und hilfsbedürftig einschätzt, ist für solche Angebote empfänglich. Was aber, wenn dadurch Hunde überfordert werden oder schlimmstenfalls zu Schaden kommen? Schließlich darf ja um keinen Preis die eigene Inkompetenz auffallen. 

Der Hundesport schreibt leider viele solcher Geschichten – die Leidtragenden sind meistens die Vierbeiner, die sich auf uns Menschen verlassen müssen. Trainingsweltmeister, Dampfplauderer, Luftpumpen.. Dunning-Kruger lässt Grüßen.

Eine gesunde Prise Selbstbewusstsein schadet indes nie: schließlich will man sich ja der Herausforderung stellen, selbst auch mal inkompetent und unwissend dazustehen. Aus Fehlern lernt man.

 

Quellen:

  • The Social Psychology of Expertise: Case Studies in Research, Professional Domains and Expert Roles (2001, Harald A. Mieg)
  • Der Dunning-Kruger-Effekt | Sozialpsychologie mit Prof. Erb (YT-Video-Podcast, 2020)
  • Artikel: Metakognition – der Mentale Kontrolleur (Gehirn&Geist Ausgabe 5/2015)

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