Eine Frage des Charakters

„Der hat Trieb bis zum Abwinken und beißt wie ein Krokodil“

Die Persönlichkeit des Hundes (Teil 2)

 

Hast du Rambo, Ghandi, Charlie Chaplin oder Mata Hari an der Leine? Warum ich frage? Na, weil es wichtig ist, für Ausbildung, Erziehung und Zucht! Schließlich hat jeder Hund einen individuellen Charakter. Der eine ist freundlich und neugierig, ein anderer scheu, aber sehr lernwillig, ein dritter kompromisslos und durchsetzungsstark, aber schwer führbar, weil er schnell zu aggressivem Verhalten neigt. Hund ist nicht gleich Hund. Und eins ist klar: Je genauer du deinen Möppie kennst, desto besser kannst du dein Training individuell auf ihn abstimmen. Und je besser kannst du einen geeigneten Partner für die Zucht auswählen. Es macht also Sinn, sich als Hundesportler mit der Persönlichkeit seines vierbeinigen Teampartners auseinanderzusetzen.

Um differenziertere Aussagen machen zu können als „Der hat Trieb bis zum Abwinken und beißt wie ein Krokodil“, werfen wir mal einen Blick auf die fünf wichtigsten Persönlichkeitsdimensionen, die den Charakter des Hundes ausmachen.

 

Das Aktivitätslevel

Geht dein Hund ab wie das berühmte HB-Männchen oder hat er die Gelassenheit eines buddhistischen Mönchs? Wie viel bewegt sich dein Hund? Ist er unruhig? Wie hoch ist sein Energielevel? Wie sieht es mit der Erregbarkeit aus? Driftet er schnell in hohe Erregungslagen ab oder bleibt er immer gelassen? Reagiert er impulsiv oder ist er die Ausgeglichenheit in Person? Ist er immer arbeitsbereit oder eher ein Couchpotato? All diese Aspekte sollte man betrachten, um das Aktivitätslevel genau beschreiben zu können.

Malinois, Deutscher Schäferhund, Border Collie und Co. sind Arbeitshunde und wurden deshalb auf ein hohes Energielevel selektiert. Trotzdem sind, was die Erregbarkeit angeht, beim Sporthund mittlere oder nur leicht erhöhte Werte wünschenswert. Wenn ein Hund bei jedem kleinen Reiz sofort in hohe Erregungslagen abdriftet, dann ist er schwer führbar, hat ein Defizit in Sachen Aufmerksamkeit, kann sich nur schlecht auf die anstehende Übung konzentrieren und es fällt ihm schwer, wieder zur Ruhe zu kommen. Auch eine zu niedrige Erregbarkeit ist kontraproduktiv für einen Sporthund. Darunter würden die Motivierbarkeit und die Arbeitsbereitschaft leiden.

Aktivitätslevel im Hundesport

Mein Hund hat ADHS

Gibt es das beim Hund? ADHS ist eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung. Nicht jeder Hund, der scheinbar ständig unter Dampf steht, ist hyperaktiv. Die allermeisten sind eher mehr oder weniger überaktiv. Bei einer Überaktivität hat der Hund nicht gelernt, sich ruhig zu verhalten und der Besitzer hat wenig Kontrolle über die Aktivitäten des Hundes. Eine Hyperaktivitätsstörung hingegen hat physiologische Ursachen.

Ein Hund mit einer Hyperaktivitätsstörung ist nicht in der Lage zu entspannen, auch nicht, wenn ihn überhaupt nichts ablenkt. Er zeigt unvermittelt Aktivität unabhängig von Auslösern. Er sucht nur selten die Aufmerksamkeit seines Besitzers. Herz- und Atemfrequenz sind möglicherweise erhöht, wenn der Hund in „Ruhe“ ist und verändern sich nur unwesentlich, wenn er aktiv ist. Hunde, die tatsächlich eine Hyperaktivitätsstörung haben, sind selten. Gott sei Dank geht es bei den allermeisten Hunden eher um fehlende Erziehung. Wenn du dich jetzt ertappt fühlst, dann habe ich eine gute Nachricht für dich. Hunde lernen ein Leben lang und Aufmerksamkeit, Konzentrationsfähigkeit und Impulskontrolle sind hervorragend trainierbar.

 

Trainierbarkeit als PersönlichkeitsmerkmalDie Trainierbarkeit

Die Trainierbarkeit ist für uns Hundesportler eines der wichtigsten Persönlichkeitsmerkmale, die ein Hund mitbringen sollte. Welche Verhaltensweisen haben Einfluss auf eine gute Trainierbarkeit? Eine der wichtigsten Eigenschaften ist dabei die Kooperationsbereitschaft mit dem Menschen. Die Konzentrationsfähigkeit auf die anstehende Aufgabe und auf den Hundeführer. Die Fähigkeit, sich auf neue Situationen einzustellen und natürlich spielt auch die Impulskontrolle eine wichtige Rolle. Denn wenn Möppie sich nicht zurücknehmen kann und sich von allen möglichen Reizen ablenken lässt, wird es schwierig mit dem Lernen. Und so wird es auch niemanden wundern, dass nicht die Draufgänger, die besonders wagemutig sind, am besten zu trainieren sind. Es sind eher die Hunde, die etwas zurückhaltender sind. Mit dieser Erkenntnis muss vielleicht der ein oder andere IGP-Sportler bei der Wahl des Hundes umdenken.

Was im Hundesport auch niemanden wundern wird, Studien bestätigen, dass Hütehunde, Vorstehhunde und Retriever am besten trainierbar sind. Diese Hunde wurden bereits seit sehr langer Zeit auf die Kooperation mit dem Menschen selektiert. Die Fähigkeit, sich aufmerksam auf seinen Menschen zu fokussieren, die Bereitschaft, Kommandos auszuführen, die Fähigkeit der Kommunikation und schnelles Lernvermögen wurden so züchterisch verstärkt. Aller guten Dinge sind drei und so wird es erneut niemanden wundern, dass Hunde aus Arbeitslinien besser trainierbar sind als ihre Artgenossen aus Showlinien.

 

Ist hohe Trainierbarkeit erblich?

Der Erblichkeitsfaktor scheint bei der Trainierbarkeit tatsächlich ziemlich hoch zu sein. Das konnte in verschiedenen Studien belegt werden. Vor allem die Heritabilität der Kooperationsbereitschaft wird als sehr hoch eingestuft. Beide Infos sind für Züchter und Hundesportler wichtig, um die Erfolgschancen von Arbeitshunden vorhersagen zu können.

 

Die Aggressivität

Ist der aggro? Wie beurteilt man das? Was bedeutet eigentlich Aggressivität? „Aggressivität beschreibt die innere Bereitschaft eines Organismus, aggressives Verhalten auszuführen“, schreibt Dr. Marie Nitzschner in ihrem Buch „Die Persönlichkeit des Hundes“. Diese Bereitschaft kann sich bei Hunden stark unterscheiden. Bei Hunden mit hoher Aggressivität reicht schon ein kleiner Reiz, um Aggressionsverhalten auszulösen. Die Reizschwelle ist hingegen viel höher bei Hunden mit niedriger Aggressivität. Das heißt, ein Hund ist nicht prinzipiell aggressiv, sondern er reagiert mit Aggressionsverhalten auf einen äußeren Reiz. Marie Nitzschner schreibt dann weiter: „Man geht heutzutage davon aus, dass es sich bei Aggressionen um ein Vielzweckverhalten handelt, das in verschiedenen Kontexten gezeigt wird und dem unterschiedliche Emotionen und Motivationen zugrunde liegen.“

Was können das für Emotionen sein? Ein Hund zeigt gegebenenfalls aggressives Verhalten, wenn er Angst hat. Auch Frust führt häufig zu Aggression. Oder Wut, weil ein Konkurrent ihm eine Ressource abnehmen will oder ins eigene Territorium eindringt.

 

BeutestreitenRelevanz im Schutzdienst

Im IGP und Mondioring spielt Aggressionsverhalten eine Rolle und wird gezielt ausgebildet. Die gerade erwähnte territoriale Aggression macht man sich zum Beispiel beim Helfertreiben zunutze. Sie dient dazu, den eigenen Lebensraum von Eindringlingen freizuhalten. Deshalb bellt Möppie warnend den Helfer an. Eine andere Möglichkeit, dem Hund das Verbellen beizubringen, ist es, Frust auszulösen, indem man ihm eine Beute, z.B. anfangs ein Bällchen, vorenthält. Aus Frust beginnt Möppie zu bellen und natürlich bekommt er dann den Ball.

 

Aggression und Lernen

Aggressionsverhalten hat in vielen Fällen auch eine erlernte Komponente. Ein Aspekt, der beim Training mit sogenannten Problemhunden wichtig zu beachten ist. Im Schutzdienst ist der Lerneffekt natürlich gewollt. Der Hund lernt beim Helfertreiben, den Figuranten durch Verbellen zu vertreiben. Dass der Helfer flüchtet, ist für den Hund ein Erfolgserlebnis, so wird er zukünftig dieses Verhalten öfter und intensiver zeigen. Dasselbe greift bei der Verteidigung des Ärmels. Der Helfer versucht, an den Arm zu gelangen, der Hund verbellt aus tiefster Kehle, der Helfer zeigt sich beeindruckt und bricht den Versuch ab, der Hund sichert seine Beute. Mit jedem Erfolg wird das Verhalten verstärkt. Übrigens: Aggressionsverhalten ist nicht, wie oft behauptet wird, selbstbelohnend. Es findet seine Belohnung im Erfolg.

Ist das gefährlich? Die Schutzdienstausbildung, wie sie im Hundesport betrieben wird, ist sehr klar an den Kontext Hundeplatz, Helfer in Schutzdienstklamotten mit Beißarm (oder Vollschutzanzug im Mondioring) gebunden. Da der Hund ein sogenannter Kontext-Lerner ist, die Reize wie Ort, Schutzdienstklamotten, nur in die Jute des Ärmels beißen etc., mit dem Verhalten verknüpft werden, besteht keine Gefahr, dass der Hund draußen auf Menschen losgeht und sie beißt.

 

Kann man Aggressivität messen?

Man versucht es zumindest. Es gibt zwei gängige Persönlichkeitstests:

C-BARQ (Canine Behavioral Assessment & Research Questionaire) – Dabei handelt es sich um Fragen, die vom Besitzer beantwortet werden. Die Antworten werden anhand einer Fünf-Punkte-Bewertungsskala ausgewertet. Die Fragen betreffen die Aggressivität gegenüber fremden Menschen, gegenüber dem Besitzer und den Familienmitgliedern und gegenüber Artgenossen.

DMA (Dog mentality assessment) – Dieser Test wurde ursprünglich zur Einschätzung von Diensthunden für das schwedische Militär entwickelt, heute orientieren sich einige Zuchtvereine daran, z.B. der RZV für Hovawart-Hunde e.V. bei seiner ZTP.

Problem: Die Auswertung des DMA zur Aggressivität hat nur wenig Bezug zum Alltag. Kein Wunder, wenn man mit übergezogenen Bettlaken als Gespenster verkleidete Personen auf Hunde zugehen lässt, um deren Aggressivität zu testen.

Außerdem kommt hinzu, dass bei einer Überprüfung derselben Hunde im DMA und im C-BARQ nur wenige Übereinstimmungen bezüglich der Ergebnisse zur Aggressivität gefunden werden. (Svartberg 2005)

Es ist also nicht so leicht, die Aggressionsbereitschaft zu bestimmen. Das belegt auch eine Untersuchung mit belgischen Militärhunden. 70% von ihnen zeigen deutliche Anzeichen von angstmotivierter Aggression, obwohl das als unerwünschtes Verhaltensmerkmal bei Militär-Diensthunden gilt (Nitzschner – Die Persönlichkeit des Hundes).

Offenbar gibt es bei der Beurteilung dieser Wesenstests eine nicht zu unterschätzende Gefahr der Fehlinterpretation.

 

Geselligkeit als PersönlichkeitsmerkmalDie Geselligkeit

Ist dein Hund freundlich zu Artgenossen und Menschen? Dann ist das Persönlichkeitsmerkmal Geselligkeit bei ihm gut ausgeprägt. Denn bei der Geselligkeit wird beurteilt, inwiefern Möppie freundliche Interaktionen mit Menschen und Hunden von sich aus beginnt.

Der Faktor Erblichkeit spielt dabei keine große Rolle und ist somit für Züchter eher nicht relevant. Gute Sozialisation und positive Erfahrungen haben den größeren Einfluss. Es gibt also nur wenige Ausreden, wenn dein Hund sich von niemandem anfassen lässt. In der Regel hast du das dann selbst vergeigt.

 

Oxytocin

Das sogenannte „Bindungshormon“ Oxytocin ist eng mit der Geselligkeit verknüpft. Es wird beim Streicheln des Hundes, beim Kontaktliegen und sogar bei Blickkontakt zwischen Hund und Besitzer ausgeschüttet. Übrigens bei beiden Beteiligten. So spielt Oxytocin eine wichtige Rolle bei der Bindung zwischen Hund und Mensch. Es hat auch Einfluss darauf, dass soziale Unterstützung vom Besitzer dem Hund in Stresssituationen hilft und das Stresslevel deutlich senken kann.

 

Der gesundheitliche Aspekt

Der Kontakt zu fremden Menschen und Hunden ist für einen Hund mit hoher Geselligkeit nicht oder nur wenig belastend. Das Gegenteil ist der Fall bei denen, wo diese Persönlichkeitsdimension nur wenig ausgeprägt ist. Also sind geselligere Hunde weniger anfällig für chronischen Stress und somit wird die Krankheitsabwehr weniger geschwächt. Ein klarer Vorteil!

 

Die Ängstlichkeit

Angst und Furcht sind sehr wichtige Emotionen. Sie warnen vor Gefahren, bereiten den Körper blitzschnell auf Angriff oder Flucht vor und sind somit wichtig fürs Überleben.

Was genau ist der Unterschied zwischen Angst und Furcht? Wenn du beim Angeln am Fluss von einem Grizzly angegriffen wirst, weil er alle Lachse für sich allein haben will, spricht man in der Wissenschaft von Furcht. Es gibt eine konkrete Bedrohung. Von Angst spricht man dann, wenn die Bedrohung nicht konkret ist. Also wenn du nachts um drei allein durchs Bahnhofsviertel nach Hause gehen musst und dir dabei mulmig zumute ist.

Und was versteht man unter Ängstlichkeit? Na, ob jemand schnell und andauernd Schiss hat oder ob er eine coole Socke ist und nur selten Angst empfindet.

So, jetzt hast du das alles einmal gehört. Ab jetzt reden wir wieder von Angst, wie es im normalen Sprachgebrauch üblich ist.

Ängstliche Hunde sieht man im Hundesport nicht sehr häufig. Ich möchte aber auf zwei Aspekte eingehen. Der erste ist die Angst vor lauten Geräuschen. Die Schussgleichgültigkeit spielt in verschiedenen Wesensbeurteilungen und Zuchttauglichkeitsprüfungen eine Rolle sowie im IGP und Mondioring. In einer Studie konnte Stefanie Riemer 2019 zeigen, dass Hunde, mit denen schon im Welpenalter präventiv gegen Geräuschängste trainiert wurde, kaum Angst vor Feuerwerk und damit vor Knallgeräuschen entwickeln. Es macht also Sinn, früh mit einer entsprechenden Desensibilisierung anzufangen. Hat dein Hund bereits eine Geräuschphobie entwickelt, sind Gegenkonditionierung und konditionierte Entspannung die geeignetsten Trainingsmethoden. (Riemer 2020)

Der zweite Aspekt ist der Zusammenhang zwischen Angst und Aggression. Angst ist eine starke Motivation für das Aggressionsverhalten. Ängstliche und unsichere Hunde zeigen eine höhere Aggressivität gegen fremde Personen, Artgenossen und gegen ihren Besitzer. Sie gehören deshalb nicht in die Zucht, denn bei der Ängstlichkeit spielen sowohl genetische als auch umweltbedingte Faktoren eine Rolle.

Es ist vor allem wichtig, eine souveräne und ausgeglichene Mutterhündin zu haben. Im Mutterleib sowie kurz nach der Geburt ist der Organismus sehr empfänglich für äußere Einflüsse. Wenn die Mutterhündin ängstlich ist oder sie während der Trächtigkeit starken Belastungen ausgesetzt wird, hat das negative Einflüsse auf die Welpen. Sie werden mit hoher Wahrscheinlichkeit eine erhöhte Ängstlichkeit entwickeln. Das ist so, weil Hormone wie Cortisol, Adrenalin oder auch Testosteron teilweise die Plazenta passieren können und so in den Blutkreislauf der Föten gelangen.

Riesenschnauzer FamilienfotoVor allem Hunde, die problematisches Verhalten im Bereich Angst / Aggression zeigen, sollten von der Zucht ausgeschlossen werden. In den Jahren 2001 bis 2009 wurde das in den Niederlanden bei verschiedenen Rassen so praktiziert. Wissenschaftler der Universität Wageningen konnten so nachweisen, dass Welpen aus zuvor getesteten Elterntieren deutlich seltener Angst und Aggressionen gegenüber fremden Menschen zeigen. Eine verantwortungsvolle Auswahl der Zuchttiere kann also das Auftreten von problematischen Verhaltensweisen verringern. Das heißt aber auch, dass man mehr über den Deckrüden wissen sollte, als „er hat Meisterschaft XY gewonnen“. Oftmals ist vielleicht der Rüde aus der eigenen Ortsgruppe, den man von klein auf in der Ausbildung beobachtet hat, den man gut kennt, über den man weiß, wie er sich im Alltag gegenüber fremden Menschen und Hunden verhält, der bessere Zuchtpartner für die eigene Hündin.

Jeder Züchter sollte die Persönlichkeit der Elterntiere differenziert betrachten. Davon profitieren die Welpen und die Hundesportler, die sie später ausbilden. Ich wünsche dabei allen Beteiligten ein gutes Händchen!

 

 

 

 

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